Trojaburg
 
 

Tilak: Arktische Heimat

Balgangadhar Tilak
Indra - die indische Hauptgottheit
Der deutsche Gelehrte Max Müller
Indra erschlägt Vritra
Die indische Sonnengottheit Surya
Die gottheit der Morgendämmerung(en): Usas

Meine These

Der vorliegende Band ist eine Fortsetzung meines 1893 erschienenen Titels „Orion“. Die Einschätzung des Alters der Veden durch die Gelehrten der damaligen Zeit basierte auf der Zuweisung einer willkürlichen Zeitspanne der verschiedenen Schichten, in welche die vedische Literatur unterteilt wird; man glaubte, daß die älteste dieser Schichten – bei wohlwollendster Auslegung - nicht älter als von 2400 v.Chr. sein konnte. Im „Orion“ versuchte ich darzulegen daß alle diese Schätzungen, abgesehen davon, daß sie zu „bescheiden“ waren, sehr unsicher und vage erscheinen, und daß uns die astronomischen Aussagen, die in der vedischen Literatur zu finden sind, weitaus zuverlässigere Daten zur korrekten Bestimmung des Alters der verschiedenen Perioden vedischer Literatur liefern. Diese Aussagen wiesen, wie weiterhin gezeigt wurde, unzweifelhaft darauf hin, daß das Frühjahrs-Equinoktikum (Frühlings Tag-und-Nachtgleiche) während der Periode der vedischen Hymnen in der Konstellation zwischen dem Sternbild des Rehs (entspricht etwa unserem Sternbild Stier) und Orion stand (um 4500 v.Chr.) und sich bis zur Konstellation der Plejaden (Krittikas)um 2500 v.Chr. erstreckte, der Zeit der Brahmanas.

Verständlicherweise wurden diese Ergebnisse zu Beginn von den Gelehrten mit Skepsis aufgenommen. Jedoch erfuhr meine Position eine erhebliche Stärkung als bekannt wurde, daß Dr. Jacobi unabhängig von meinen Erörterungen die selbe Schlußfolgerung traf und wenig später erkannten auch Gelehrte wie Prof. Bloomfield, M. Barth, Dr. Bouhler und andere mehr oder weniger die Durchschlagskraft meiner Argumente an. Dr. Thibaut, Dr. Whitney und einige wenige andere waren dagegen der Meinung, daß die von mir vorgebrachten Argumente nicht schlüssig seien. Doch die nachfolgende Entdeckung einer Passage innerhalb des Shatapa-Brahmana durch meinen Freund, Herrn S. B. Dixit, nach der das Krittikas (Sternenkonstellation der Plejaden) in jenen Tagen nie vom genauen Oststand - was dem Punkt der Frühjahrs Tag-und-Nachtgleiche entspricht - abgewichen ist, zerstreute alle übrig gebliebenen Zweifel hinsichtlich des Alters der Brahmana; ein weiterer indischer Astronom, Herr V.B. Ketkar, untersuchte mathematisch die Aussage innerhalb des „Taittiirîya Brâhmana“ (III,1,1,5), wonach der Brihaspati, also der Planet Jupiter, erstmals entdeckt wurde, als er beinahe dem Stern Tishya begegnete, und kam zu dem Schluß, daß diese Beobachtung nur um 4650 v.Chr. möglich war, wodurch meine Schätzung der ältesten Periode der vedischen Literatur eindrucksvoll bestätigt wurde.

Doch war man noch immer zur Frage verleitet, ob man innerhalb dieser Zeitspanne tatsächlich das Ultima Thule, also die äußerste Grenze der arischen Vergangenheit erfaßt hatte. So schrieb etwa Prof. Bloomfield in einer Fußnote auf mein „Orion“ bezogen, „die Sprache und Literatur der Veden ist keineswegs so primitiv, daß man mit ihr die wahren Anfänge des arischen Lebens ansetzen müßte. Diese reichen bei aller Wahrscheinlichkeit und angemessener Zurückhaltung“ stellte er richtig fest, „mehrere Tausend Jahre weiter zurück.“ Und es wäre deshalb „sinnlos darauf hinzuweisen, daß der Vorhang, der um 4500 v.Chr. unsere Sicht auf weiter zurückliegendes verhüllt, sich am Ende als dünner Blickschleier entpuppen könnte.“ Ich bin selbst der gleichen Auffassung und widmete einen Großteil meiner Freizeit in den letzten 10 Jahren der Suche nach Beweisen, die diesen Vorhang lüften könnten und uns zur weit zurückliegenden Ursprünglichkeit arischer Vergangenheit zurückzuführen vermögen.

Wie ich mich auf die Suche begab, wird in „Orion“ beschrieben; wie ich, als die jüngsten Forschungsergebnisse der Geologie und Archäologie zunehmend Licht auf die ursprüngliche Geschichte des Menschen warfen, mich geradewegs auf eine andere Forschungsrichtung begab, und wie ich schließlich die Erkenntnis erlangte, daß die Vorfahren der arischen Rishis in einer arktischen Heimat in einer Zwischeneiszeit lebten, durch die langsam aber stetig zunehmende Masse an vedischen und avestischen Beweise, wird in diesem Buch beschrieben. Ich hoffe jedenfalls, damit die Gelegenheit wahrnehmen zu können, mich für die hochachtungsvolle Anerkennung und großzügige Sympathie die mir in einer kritischen Zeit durch den verdienten Gelehrten Prof. F. Max Müller entgegengebracht wurde, revanchieren zu können.

Ich war zu diesem Zeitpunkt aus politischen Gründen inhaftiert, und Prof. Müller kannte mich lediglich als Autor des Buches „Orion“. Er war so freundlich mir ein Exemplar der zweiten Auflage seines Rigveda zu senden und die Regierung gestand mir die Nutzung dieses und weiterer Bücher sowie des Lichtes zu, um in der Nacht lesen zu können. Einige der Passagen aus dem Rigveda, die auf den folgenden Seiten zur Unterstützung der arktischen These angeführt werden, wurden während dieser mir zur Verfügung stehenden „Freizeit“ zusammengestellt.

Hauptsächlich dank der Bemühungen Prof. Max Müllers, unterstützt durch die indische Presse, erfolgte nach 12 Monaten meine Freilassung. Ich dankte dem deutschen Forscher daher aufrichtig für seine selbstlose Freundlichkeit und übermittelte ihm außerdem eine kurze Zusammenfassung meiner neuen Theorie bezüglich der ursprünglichen arischen Heimat wie sie durch vedische Beweise offenbart wird.

Es konnte natürlich nicht erwartet werden, daß ein Gelehrter, der sein ganzes Leben einer anderen Forschungsrichtung widmete, sofort der neuen Sichtweise zustimmen würde, vor allem allein nach Lektüre einer kurzen Zusammenfassung. Es war daher um so ermutigender von ihm zu erfahren, daß meine Interpretation der vedischen Passagen durchaus wahrscheinlich wäre, aber noch im Gegensatz zu herrschenden geologischen Erkenntnissen stände. Ich antwortete ihm, diese Frage bereits von diesem Standpunkt aus untersucht zu haben, und mich zu freuen, ihm schon bald meinen Standpunkt unter Berücksichtigung dieser Frage nahezulegen. Doch leider wurde ich dieser Gelegenheit durch seinen tief bedauerten Tod kurze Zeit danach beraubt.

Das erste Manuskript dieses Buches wurde Ende 1898 geschrieben, doch zögerte ich lange Zeit es zu veröffentlichen – teilweise aus anderen Gründen, hauptsächlich jedoch, weil die Beweisführung so viele verwandte Wissenschaften berührte, wie etwa die Geologie, die Archäologie, vergleichende Mythologie und so weiter; und als reiner Laie auf diesen Gebieten, war ich unsicher, ob ich den jeweils jüngsten Forschungsstand in diesen Bereichen hinreichend berücksichtigt hätte. Diese Problematik wird sehr gut von Prof. Max Müller in seiner Besprechung der Frühgeschichtlichen Altertümer der Indogermanen beschrieben. Während meiner von großen Schwierigkeiten begleiteten Arbeit, war ich um so froher, beim Aufblättern der Encyclopedia Britannica in einem Artikel Prof. Geikies über Geologie festzustellen, daß dieser den gleichen Standpunkt hinsichtlich der Berechnungen Dr. Krolls einnahm, wie ich ihn am Ende des 2. Kapitels dieses Buches vertrete.

Nach Feststellung, daß die Ergebnisse Krolls sich bei Physikern und Astronomen nicht durchzusetzen vermocht hätten, fuhr der bedeutende Geologe mit dem Hinweis auf die kritische Untersuchung dieser Ergebnisse durch Herrn E. P. Culverwell fort, der sie als „vage Spekulation“ bezeichnete, die zwar tatsächlich in einen täuschenden Schein numerischer Genauigkeit eingehüllt, physikalisch allerdings nicht haltbar wäre weil die Teile aus denen sie sich zusammensetzten, nicht ineinanderpaßten. Wenn also Dr. Krolls Berechnungen in dieser Art und Weise widerlegt sind, so hält uns nichts davon ab, uns der Lehrmeinung der US-Geologen anzuschließen, wonach der Beginn der Nacheiszeit nicht vor 8000 v.Chr. angesetzt werden dürfe.

Die Anfänge arischer Zivilisation müssen ihrerseits auf einige Tausend Jahre vor der ältesten vedischen Epoche datiert werden: und wenn der Beginn der Nacheiszeit auf 8000 v. Chr. festgesetzt werden kann, erscheint die Schlußfolgerung nicht überraschend, das urtümliche arische Leben von hier bis 4500 v. Chr. dem Beginn der ersten vedischen Epoche, anzusetzen.­

Tatsächlich ist diese Behauptung die zu beweisende Kernaussage dieser Veröffentlichung.

Es existieren zahlreiche Passagen innerhalb des Rigveda, die bislang bei ihrer Betrachtung als obskur und unverständlich eingestuft wurden im Vergleich mit dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, insbesondere was die polaren Attribute der vedischen Gottheiten betrifft oder auch die Hinweise auf einen alten arktischen Kalender; während das Avesta ausdrücklich darauf hinweist, daß das Ayrania Vaejo, also das arische Paradies, in einem Gebiet lag, in dem die Sonne bis auf einen Tag im Jahr schien, und durch eine Invasion von Schnee und Eis zerstört wurde. Diese Klimaverschlechterung veränderte die klimatischen Bedingungen dramatisch und machte eine Auswanderung in den Süden erforderlich. Dieses sind klare und deutliche Aussagen, und wenn wir sie zu dem hinzu addieren, was wir durch die jüngste geologische Forschung über die Eis- und Nacheiszeit wissen, kommen wir nicht um die Schlußfolgerung herum, daß die ursprüngliche Heimat der Arier sowohl arktisch als auch zwischeneiszeitlich war.

Aber warum sollten diese einfachen und naheliegenden Schlußfolgerungen solange unentdeckt geblieben sein? Die Entdeckung war ausschließlich fällig aufgrund des Wissensfortschritts hinsichtlich der Urgeschichte des Menschen und des Planten den sie bewohnten. So machte ich mich daran, den vorliegenden Band zu veröffentlichen.

Der Wissensfortschritt in der geologischen Wissenschaft der letzten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat nun nachgewiesen, daß die klimatischen Bedingungen an den Polen während der Zwischeneiszeit mild und nicht ungeeignet für menschliche Besiedlung waren. Es ist daher nicht außergewöhnlich, wenn es somit uns überlassen bleibt, den wahren Anteil dieser Passagen innerhalb der Veden und des Avesta offenzulegen. Sicherlich ist es richtig, daß im Falle der Bestätigung der Theorie einer arktischen und zwischeneiszeitlichen Urheimat der Arier, viele Kapitel der heutigen Literatur zur arischen Frühgeschichte, vergleichenden Mythologie und Vedenforschung überarbeitet oder neu geschrieben werden müßten – im letzten Kapitel diese Buches führe ich einige der wichtigsten Punkte auf, die von der neuen Theorie betroffen sein werden.

Die Theorie der arktischen Urheimat ist indes keineswegs so neu und erschreckend wie man beim ersten Blick anzunehmen geneigt ist. Zahlreiche Gelehrte haben bereits ihren Glauben zum Ausdruck gebracht, nach dem der Ursprung der Menschheit in arktischen Regionen zu suchen sei; Dr. Warren, Präsident der Universität Boston, hat mich dabei zu einem gewissen Teil inspiriert mit seiner überzeugenden Arbeit Paradise Found (Die Entdeckung des Paradieses oder die Wiege des Menschengeschlechtes am Nordpol), dessen zehnte Auflage 1893 in Amerika erschien.

Sogar auf dem rein sprachwissenschaftlichem Gebiet ist nunmehr die These einer arischen Urheimat in Zentralasien zugunsten einer solchen in Norddeutschland oder Skandinavien aufgegeben worden; während Prof. Rhys in seiner Wintervorlesung über keltisches Heidentum aus rein mythologischen Erörterungen von einem „Punkt, irgendwo innerhalb des arktischen Kreises“ spricht, gehe ich nur einen Schritt weiter: Ich weise nach, daß die Theorie – soweit es um die arische Urheimat geht – vollständig aus vedischen und avestischen Überlieferungen geboren wurde und, was um so wichtiger ist, die jüngste geologische Forschung nicht nur die avestische Beschreibung der Zerstörung des arischen Paradieses bestätigt, sondern  uns ermöglicht, seine Existenz innerhalb der Zeitspanne vor der letzten Eiszeit anzusiedeln. Die Beweise, auf die ich mich berufe, werden auf den folgenden Seiten in aller Deutlichkeit aufgezeigt. Als ich meinen „Orion“ veröffentlichte, wagte ich nicht darauf zu hoffen, meine Untersuchung der Überlieferung der Veden bis zum gleichen Stadium zu entwickeln; doch die Vorsehung verlieh mir die notwenige Stärke trotz aller Schwierigkeiten die Arbeit zu beenden, und in demütiger Erinnerung daran, verbleibe ich mit den Worten der gut bekannten Weiheformel –

  Bâl Gangâdhar Tilak, 1903

 

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