Trojaburg
 
 

Karl August Eckhardt: Irdische Unsterblichkeit

Das Ende des Lebens achten sie für nichts. Es herrscht nämlich unter ihnen die Meinung des Pythagoras, die Seelen der Menschen seien unsterblich, und nach einer bestimmten Zahl von Jahren lebe man wieder auf, indem die Seele in einen andern Körper einwandere,

Diodor

Vor allem lehren sie, daß die Seelen nicht stürben, sondern nach dem Tode vom einen auf den andern übergingen und dadurch glauben sie einen Hauptantrieb zur Tugend zu finden, während die Todesfurcht in den Hintergrund tritt.

Caesar

Zwei Aussagen antiker Autoren über den Seelenwanderungsglauben bei den Kelten. Daß dieser Glaube nicht auf die Kelten beschränkt war, sondern auch den Germanen eigen gewesen sein muß, suchte der Rechtshistoriker Karl August Eckhardt bereits 1937 nachzuweisen. Sein wichtigstes Argument: DieVerbreitung des Namengebungsbrauches, der Neugeborenen den Namen von Verstorbenen zueignete. Dieser zwingt, nach Eckhardt, zu dem Schluß, daß er und damit der Glaube an die Wiedergeburt in der Sippe ursprünglich allen Germanen eigen war.

 

Für jeden unvoreingenommenen Beurteiler wird durch die Angabe Cäsars einwandfrei erwiesen, daß die Gallier seiner Zeit an eine Wanderung der Seelen von Mensch zu Mensch glaubten. Mag der Wiederverkörperungsglaube auch später bei den Kelten seltsame Blüten getrieben haben und schon verhältnismäßig früh von anderen Vorstellungen durchkreuzt worden sein — um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts herrschte er jedenfalls noch in ursprünglicher Form und mit ungeschwächter Kraft.

Herodot meinte diesen Gedanken erstmals bei den Ägyptern anzutreffen:

Auch diesen Gedanken haben die Ägypter zuerst ausgesprochen, daß des Menschen Seele unsterblich sei, daß sie aber, wenn der Körper vergeht, immer in ein anderes lebendes Wesen, das gerade entsteht, eingehe, und daß sie, wenn sie alle, die Tiere des Festlandes, des Meeres und die Vögel durchwandert, wieder in eines Menschen Körper, der gerade entsteht, eingehe, daß sie aber diesen Umlauf in 3000 Jahren vollführe. Auch manche Hellenen haben sich dieses Gedankens bedient, sowohl früher als auch später, als wenn derselbe ihr eigener wäre; ich kenne ihre Namen wohl, verzeichne sie aber nicht.

Jedoch wird auch von thrakischen Stämmen berichtet, daß sie an eine Unsterblichkeit glaubten. Der Tote geht zunächst in einen Berg ein, um bei dem Gotte Zalmoris zu weilen, kehrt aber dann aus dem Jenseits wieder. Zum Märchen umgebogen erscheint diese Auffassung in einer Fabel Herodots, die den Zalmoris als einen Schüler des griechischen Philosophen Pythagoras bezeichnet. „Wer auch immer dieses Märchen erfunden haben mag, er ist darauf geführt worden durch die Wahrnehmung der nahen Verwandtschaft der pythagoreischen Seelenlehre mit dem thratischen Seelenglauben; ebenso wie durch dieselbe Wahrnehmung andere verführt worden sind, umgekehrt den Pythagoras zum Schüler der Thraker zu machen. Es kann hiernach nicht zweifelhaft sein, daß man die dem Pythagoras eigene Lehre von der Seelenwanderung in Thrakien wiedergefunden hatte, und daß der Glaube an die ,Wiederkehr‘ der Seele so zu verstehen ist, daß die Seelen der Toten, in immer erneuten Verkörperungen wiederkehrend, ihr Leben auf Erden fortsetzen und insofern ‚unsterblich‘ seien. Wirklich scheint auch eine Andeutung des Euripides den Glauben an wiederholte Einkörperung der Seele als thrakischen bezeichnen zu wollen.“

Die Lehre des Pythagoras ist dadurch verdunkelt worden, daß sich zahlreiche Legenden um seine Persönlichkeit gerankt haben und seine Schule den Brauch übte, jüngere Weiterbildungen des Systems stets auf den Meister selbst zurückzuführen. Doch können wir deutlich ältere und jüngere Schichten gegeneinander absetzen.

Da Germanen, Kelten und Thraker ursprünglich nur von einer Wiederverkörperung der Seelen in Menschen wissen, spricht alles dafür, auch für die Griechen den gleichen Ausgangspunkt anzunehmen und die Zwischenschaltung tierischer oder gar pflanzlicher Phasen für spekulative Entartung oder Einfluß fremder Vorstellungswelten zu halten.

Ehe wir uns den indischen Lehren zuwenden, sei jedoch vorweg bemerkt, daß nicht der mindeste Anlaß vorliegt, die ursprüngliche Form des griechischen Wiederverkörperungsglaubens, wie sie auch Pythagoras noch vertreten zu haben scheint, aus indischen Vorbildern herzuleiten. Vielmehr spricht alles dafür, daß hier Wurzelverwandtschaft mit den gleichartigen germanischen, keltischen und thrakischen Anschauungen vorliegt. Dagegen wird sich die Vermutung, daß die spätere griechische Philosophie indischen Einflüssen zugänglich war, schwerlich ganz von der Hand weisen lassen.

In Indien, dessen ungewöhnlich variantenreiche Entwicklung hier nur angedeutet werden kann, liegen die Verhältnisse ähnlich wie im älteren Griechenland. Der ältesten vedischen Zeit scheint der Wiederverkörperungsglaube zu fehlen. Doch einer der besten Kenner der Veden, Hermann Oldenberg, hat sich zu der Auffassung bekannt: „Vermutlich wird sich immer deutlicher zeigen, daß die (spätere) Seelenwanderungslehre nicht viel mehr ist als die systematisierende, schablonisierende, das einzelne ins Unabsehbare steigernde Verwertung von Elementen, die zwar für uns in der Tradition zurücktreten, aber darum doch so alt und älter sind wie indischer Glaube und indisches Volkstum überhaupt.

Vielleicht enthält übrigens doch die älteste Quelle indischer Geschichte einen Hinweis auf die Wiederverkörperung. Ein Lied des Rigveda ruft dem Toten zu, ehe er auf den Scheiterhaufen gelegt wird:

Geh hin, geh hin auf den alten Pfaden, darauf früher unsere Väter fortzogen, vereine dich mit den Vätern und mit (dem Herrscher der Seelen) Yama, mit dem Schatz deiner Opfer und guten Werke im höchsten Himmel. Laß alles Gebrechen dahinten und kehre wieder heim; vereinige dich mit deinem Leibe kraftgeschmückt.“ (Hermann Oldenberg, Die Religion des Veda, S. 575)

Hermann Oldenberg bemerkt dazu: „Man hat hier den sentimental angehauchten Gedanken gefunden, daß das Sterben eine Rückkehr der Seele zu ihrer Heimat ist. Bedeuten aber die Worte nicht in der Tat: geh zur Himmelswelt und befreie dich von allen Gebrechen; dann kehre auch wieder zu deinem Leib, bei dem deine Heimat ist, zurück?

Ich meine, daß die Aufforderung „kehr wieder heim und vereinige dich mit deinem Leibe“ schlechterdings nicht auf eine himmlische Heimat bezogen werden kann. Freilich erscheint es auch undenkbar, daß die Inder an eine Rückkehr der Seele in ihren alten Leib gedacht haben können; andernfalls hätten sie diesen doch, gleich den Ägyptern, zu erhalten gestrebt, statt ihn zu verbrennen. So erscheint mir die Deutung auf Wiederverkörperung in einem neuen Leibe die Zwangloseste zu sein, zumal sie so trefflich zu dem stimmt, was wir über andere Indogermanen, besonders die Germanen und die Thraker, wissen.

Daß die Indoarier, ebenso wie die sonstigen Indogermanen, ursprünglich nur an eine Wiederverkörperung in Menschengestalt geglaubt haben und daß auch ihnen das Wiedergeborenwerden in der eigenen Sippe Hoffnung und Überzeugung war, zeigt ein Lied in den nachvedischen Upanischaden, das in dieser so gänzlich veränderten Glaubenswelt als ein Überbleibsel aus grauer Vorzeit anmutet:

Die ihm Mutter war, wird Gattin,

Die Gattin war, zur Mutter ihm,

Sein Vater wird ihm zum Sohne,

Sein Sohn wieder zum Vater ihm.

 

So im Kreislauf der Wanderung,

Wie Schöpfeimer am Wasserrad

Umlaufen, kommt stets er wieder

Zum Mutterschoße und zur Geburt.

 

Wenn noch irgendein Zweifel daran möglich wäre, daß die gleichartigen Lehren der genannten fünf indogermanischen Völkergruppen auf gemeinsamem arischen Besitz beruhen, so wird er unweigerlich aus dem Felde geschlagen, wenn wir unsere früheren Beobachtungen über die Namengebung mit den neuen Feststellungen kombinieren.

Germanen, Römer, Griechen, Indoarier (anscheinend auch die Kelten) kennen die feierliche Namenweihe am zehnten Lebenstage, deren einzigartige Bedeutung und enge Verknüpfung mit dem Glauben an eine Wiederverkörperung durch die germanischen Zeugnisse in hellstes Licht gerückt wird. Bei den Germanen und Indern ist der Glaube an die ewige Wiedergeburt in der Sippe ausdrücklich bezeugt. Germanen, Griechen, Matedonen und Perser haben den darauf beruhenden Brauch, Kinder nach verstorbenen Gesippen zu benennen, bis in historische Zeit bewahrt. In Norwegen, Deutschland, Bulgarien und Thrazien haben sich Reste davon bis zur Gegenwart erhalten.

Hieraus ergibt sich mit einer Sicherheit, wie sie für indogermanische Frühgeschichte nur in seltenen Ausnahmefällen zu gewinnen ist, daß der Wiederverkörperungsglaube in eben der Gestalt, die wir in den germanischen Quellen des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung nachweisen konnten, ursprünglich allen bedeutenden indogermanischen Stämmen eigen war.

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