Mittwinter - Allerlei um den Lichterbaum
VON: OTTO PAUL
Weihnachten
Es ist der 21. Dezember.
Jetzt beginnt die wunderbare, geheimnisvolle Zeit. In drei Tagen sehen die Kinder ihre stillen und offenen Wünsche erfüllt, und die Väter, die Mütter denken an ihre eigene Kindheit. Sie haben gleichfalls einst mit Spannung den Abend erwartet, an dem die lieben Eltern versuchten, ihnen jede Freude zu bereiten, ihnen Gaben um einen strahlenden Lichterbaum legten und selbst in den leuchtenden Augen ihrer Kleinen ihr Glück fanden. Denn jenen kam ja auch in den Sinn, dass sie einst Kinder waren, von treuen Eltern beschützt und geliebt. Und so setzt sich die Reihe fort in ferne vergangene Zeiten.
Kein anderes Fest verbindet uns so eng mit unseren ältesten Ahnen. Wer nicht ganz einem grob-materialistischen Denken verfallen ist, der fühlt gerade um die Weihnachtszeit den Zusammenhang, in dem er mit Vergangenheit und Zukunft steht, und fi ndet trotz allem Hasten und Treiben der Gegenwart das ruhige Stündchen zum Nachdenken. Daraus entspringt das friedliche Erkennen, ein Glied in einer unendlich langen Kette zu sein: Wir stehn nicht allein, und dieses Bewußtsein erst gibt die rechte Festesfreude.
Nicht immer ist uns das so deutlich, aber wenn man sich den Sinn aller Einzelheiten, die einem in dieser Zeit begegnen, klarmachen wollen, die Sonnwendbräuche, den Lichterbaum, die Sagen des Weihnachtsabends, die Mythen um die Rauhnächte, das Treiben in der Neujahrsnacht und am Dreikönigstag betrachten, so kommen wir immer auf den gleichen Gedanken, so beschleicht uns das gleiche Gefühl. Wir meinen, es sei lebendiger in ns gewesen, als wir Kinder waren, und deshalb suchen wir es zu wecken, indem wir vor dem geistigen Auge die Kindheit erstehen lassen. Aber das ist kein müssiges Spiel. Es ist uns bitter notwendig und gehört eng zu unserem Dasein: Wir erleben damit in unserem Innersten einen Teil der Welt unserer Vorväter.
Was vom Geiste unserer Ahnen noch in uns dauert, in Festzeiten macht es sich fühlbar und besonders zu den Weihnachten. Zu Weihnachten sagt man, und weiß eigentlich kaum noch, was man damit ausspricht. Wir wollen uns das Wort einmal richtig ansehen. Es klingt altertümlich; denn heute redet ja eigentlich kein Mensch mehr so. Richtig heißt es in den Nächten, vor den Nächten usw. Und nun gar: Was heißt weih? Wir kennen das Weihwasser, den Weihwedel,
den Weihrauch, lauter Dinge, die zum kirchlichen Kultus gehören und die nach frommem Glauben dazu dienen, den Menschen heilig zu machen, zu „weihen“. Früher wurde auch die Hostie als Weihbrot bezeichnet. Einstmals war der Ausdruck weih oder älter wîh sehr geläufig, ein Eigenschaftswort und bedeutete alles Verehrungswürdige und Heilige. Die wîh nachten, das waren also die heiligen Nächte.
Wie kommt es nun, daß man von mehreren heiligen Nächten spricht, wenn man unser Fest bezeichnet? Jeder denkt doch dabei nur an eine Nacht, an die, in welcher der „Erlöser“ in die Welt kam: „Euch ist heute der Heiland geboren“. Dieser „Erretter“ soll uns später noch gründlich beschäftigen. Bei der Benennung „Weihnachten“ kann es sich, richtig genommen, nicht um die Nacht seiner Geburt handeln, sondern um die Reihe von zwölf Nächten nach der Wintersonnenwende, der dunkelsten Zeit des Jahres. Somit erkennen wir in dem Weihnachtsfest ein Naturfest, das unsere ältesten Ahnen schon feierten, lange bevor lateinisch sprechende fremde Priester kamen und Kunde brachten von einem, der gleichzeitig Gott und Mensch war, der in die Welt gekommen sein sollte, um sie zu erlösen, der ein neues Zeitalter, ein tausendjähriges Reich herbeiführen wolle.
Dem Germanen war die Sonne, wie alles in der Natur, eine Persönlichkeit. Jedes Jahr erfüllte sich am Himmel ein Schicksal. Der Held, von dessen Erscheinen ja so viel abhängt: Keimen der Saat, Reifen der Ernte, er steigt auf und wächst, bis er zur Sommersonnenwende seine höchste Macht erreicht hat. Dann aber erfolgt der Niedergang. Der Tag wird kürzer und kürzer. Die Kraft des Gestirns nimmt ab und schließlich ist sie so gering, daß man meinen könnte, sie sei abgestorben. Da geschieht aber das Wunder: Das Licht nimmt wieder zu. Der Gott wird gleichsam neu geboren. So empfanden unsere Vorfahren.
Wir astronomisch gebildeten Spätlinge drücken uns nüchtern und kalt aus, indem wir sagen:
Die Sonne beschreibt am 21. Dezember ihren kleinsten Tagbogen. Wir wissen, daß er dann wieder größer wird. Durch die Stellung der Erde zum Mittelpunkt unseres Planetensystems ist das bedingt. Aber trotzdem feiern wir das Fest des wachsenden Lichtes, trotzdem ist die Sonne für uns der Held, denn wir verdanken ihr ja unsere Nahrung,unser Leben. Und wir sollten gerade wegen der neuen mathematischen Einsicht den Sonnenlauf als ein Wunder betrachten, als das grosse Wunder der Natur. Was könnte mehr mit dem Wirken des Göttlichen vertraut machen als ein Nachdenken über dieses erhabene Geschehen, das unsere Gelehrten durch ständige Arbeit bis ins Kleinste errechnen und festzustellen suchen. Deshalb feiern wir mit Recht die Wendepunkte des Jahres und besonders die Weihnachten, die heiligen Nächte, oder die Tage, an denen die Sonne zu Mittag am tiefsten steht. Dass man von Nächten spricht, ist nur altertümliche Ausdrucksweise, die wir beibehalten, weil sie uns lieb und teuer ist. Die alten Germanen zählten nach Wintern und Nächten, statt wie wir nach Jahren und Tagen. So erinnert uns also das Wort „Weihnachten“ ständig an diese Gepfl ogenheit unserer ältesten Ahnen.
Vom Rauhnachtsbrauch
Zwölf Tage wurden einst festlich begangen, vom 25. Dezember bis 5. Januar. Heute feiert man meist nur den Anfang, das Ende und dazwischen den Neujahrstag. Doch davon später. Wie das Jahr zwölf Monate hat, in denen die Sonne herrscht, so gibt es nun auch zwölf Tage, an denen sie keine Macht hat. Jetzt ragt eine andere Welt in die unsere herein. Im Norden feierte man schon in ältester Zeit das Julfest. Da wurde Friede gehalten, der Julfriede. Man unternahm kein Geschäft. Am Hofe sassen die Krieger um ihren Fürsten, versammelt in der Halle am Feuer, der Sagamann trat auf und erzählte von den
Taten des Königs und früheren Helden. Man trank Bier und ließ sich den Juleber schmecken.
Sinnig wissen die deutschen Sagen von den zwölf Nächten zu berichten. Frau Holle kommt dann mit ihrem Gefolge, das oft aus Kindern besteht, zu den
Menschen. Im Bauernhaus wird sie bewirtet und zum Dank dafür verleiht sie dem gastlichen Anwesen Gedeihen und Segen. So in Mittel- und Norddeutschland. Der Süden kennt dafür die Percht, die milde Berchte, die der fromme Schulmeister Konrad von Dankprotzheim in seinem „Namensbüchlein“ sogar unter den Heiligen aufzählt. Sie ist das gleiche gütige Wesen, das in den geweihten Tagen die Sterblichen besucht, um ihnen Glück zu bringen, wenn sie sie nicht durch unfreundliche Behandlung von sich stoßen.
Daß der Volksglaube diese Frau auch bisweilen mit hexenhaften, dämonischen Zügen ausstattet, das ist sicher erst kirchlichem Einfluss zuzuschreiben, der so manchen wohltätigen germanischen Gott zum Teufel gemacht hat. Frau Holle oder die Percht ist ursprünglich ein Fruchtbarkeitsgeist, der aus der Aussenwelt allles Heil zu den Menschen bringen kann. Damit bestimmt sich im wesentlichen das Brauchtum der heiligen Nächte. Es handelt sich um ein Fest, bei dem
von aussenstehenden Mächten Gedeihen für die Menschenwelt erbeten wird. Das erklärt die Maskenumzüge, die ja auch zu der Fastnacht genannten, Vorfrühlingsfeier gehören, welche den gleichen Sinn hat.
Es sind heute nicht immer die zwölf Tage nach Weihnachten, an denen der Verkleidungsbrauch stattfindet. Im Pinzgau ziehen Burschen an den drei Donnerstagen von Wintersonnenwende als „Perchten“ um. Im Böhmerwald beschränkt sich das Maskenwesen auf das Ende der Rauhnächte, den Dreikönigsabend. Es ist die „Foast-Raunacht“, die Feist-, Fett-Rauhnacht. An diesem Tage ißt man fettes Schweinefleisch. Das deutet auch wieder auf Fruchtbarkeitswünsche hin. Das Genießen bestimmter Speisen spielt ja um die Weihnachtszeit überhaupt eine große Rolle. Da haben wir in Süddeutschland das Kletzen- oder Hutzelbrot, das aus gedörrten Birnen bereitet wird und im ganzen Gebiet unter dem Lichterbaum selten fehlt. Dann gibt es die aus Zwetschgen hergestellten Männer. An den Weihnachtsstollen, Lebkuchen, Pfefferkuchen, Honigkuchen, die Äpfel und Nüsse braucht nur erinnert zu werden. Besonders wichtig sind aber die sogenannten Gebildbrote, deren sinnbildlicher Wert uns heute meist nicht mehr geläufig ist. Trotzdem verwenden wir es viel als Baumbehang.
Gewissen Formen knüpfen sich an bestimmte Gegenden. So ist die Frau mit Spinnrad in Thüringen üblich (= Frau Holle?), ein Häschen in Waldeck, ein Kater in Friesland usw. Ganz klar wird uns die ursprüngliche Bedeutung des Weihnachtsfestes als Fruchtbarkeitsfeier aber erst, wenn wir daran denken, daß wir uns um die Zeit gerne den Karpfen, Mohnspeisen, das Marzipanschweinchen und ähnliches zu Gemüte führen. Nebenbei gesagt: Dieser Ausdruck für essen hat in dem Zusammenhang hier einen ganz besonderen Sinn. Der „Silvesterkarpfen“ oder „Weihnachtskarpfen“ vervielfältigt den Wohlstand für den ihn Genießenden nach der Zahl der Schuppen, die er hat.
Aber auch der Rogen besitzt seinen Wert. Soviel Körnchen man zu sich nimmt, soviel Glück und Geld erhält man im kommenden Jahr. Dem entspricht auch der Mohnsamen als Heilbringer. Er ist z. B. in Berlin, zubereitet mit Milch, Semmelbrocken und Rosinen, unter dem Namen „Mohnspielen“ eine beliebte Neujahrsspeise. In Schlesien sagt man „Mohnklöße“. Alle diese Bräuche beobachten wir noch halb im Scherz, und wir trennen uns nicht gerne von ihnen. Am meisten gilt das von dem Schweinchen aus Schokolade oder Marzipan. Ist es doch ein Sinnbild für den Eber, das alte germanische Kulttier. Das Essen davon, das jetzt allerdings nur noch ziemlich gedankenlos geschieht, soll auch Segen verleihen. Das ist alter Volksglaube.
Woher kommt nun aber all das Gute, das mit diesen festlichen Handlungen, dem Genuß der besonderen Speisen usw. verbunden ist? Davon ließe sich viel aus dem deutschen Sagenschatze berichten. Hier nur wenige Andeutungen.
Wenn man gelegentlich auf dem Lande eine alte Frau, oder einen Bauern danach1 fragt, so kann man wohl die Antwort bekommen: „Das bringen die Unterirdischen.“ Nicht oft gelingt es einem allerdings überhaupt Auskunft zu erhalten. Der bodenständige Bewahrer alter Volksweisheit fürchtet ausgelacht zu werden. Mancher denkt sich etwas und sagt es nicht. Vielen ist aber der Väterglaube auch nicht mehr gegenwärtig. Wenn nun treues Festhalten am alten Denken und Brauch gelobt wird, so darf das nicht falsch verstanden werden. Wir wollen nicht dem Aberglauben das Wort reden, ihn pflegen oder wieder aufs Tapet bringen. Nachdem uns die Naturwissenschaft manche Erkenntnisse geliefert hat, finden wir vieles anders, als es unsere Vorfahren gesehen haben. Auch an dem Bauern von heute ist die Entwicklung nicht spurlos vorübergegangen und keiner wird ihm das Wissen der Zeit vorenthalten wollen. Aber andrerseits kann er wieder durch die grössere Treue, mit der er das Denken seiner Urväter besser als der Stadtmensch bewahrte, uns ein wichtiger Bundesgenosse im Kampf der Geister sein.
Auszug aus: Weihnachten - die geweihten Nächte im Ahnenerbe
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