Trojaburg
 
 

 

Der H-Sonderauftrag

Hexenprozeßerfassung als „Gegnerbekämpfung“

Im Jahre 1935 wurde auf Himmlers Veranlassung innerhalb des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, der die Aufgabe hatte, „mit nachrichtendienstlichen Mitteln alle Lebensgebiete des Deutschen Volkes auf ihren Zustand und auf das Auftreten und die Wirkung volksschädlicher Erscheinungen zu überwachen“, eine Sonderabteilung, der „H-Sonderauftrag“, eingerichtet, die ab 1939 im Reichssicherheitshauptamt, Amt II und ab 1941 im Amt VII („Weltanschauliche Forschung und Auswertung“), eine eigene Dienststelle bildete. Das Amt II des 1939 aus dem SD hervorgegangenen Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) befaßte sich unter dem Kommando von Franz Alfred Six mit der „Überwachung der Erkenntnisse des Gegners und seines politischen Verhaltens“, worunter auch das Sonderkommando in seiner Aufklärung der kirchlichen Hexenverfolgung gezählt wurde. Aufgabe dieser von Six geleiteten Abteilung war die Sammlung und Bereitstellung wissenschaftlichen Materials für das RSHA und die Dokumentation dieser Ergebnisse in eigenen Schriftreihen - einen Einblick in die Zusammenhänge der christlichen Kirche mit Marxismus, Freimaurerei und Judentum, bietet der im Anhang befindliche Aufsatz von Franz Alfred Six.   
 Der H-Sonderauftrag, der auch als sogenanntes Sonderkommando-H (für Hexen) in der Literatur bekannt ist,  widmete sich zu Beginn in erster Linie der Erforschung der Hexenverfolgung und legte im Rahmen der Forschungsarbeiten eine sogenannte Hexenkartothek an. Unter Leitung der SS-Führer Six, Dr. Wilhelm Spengler und Dr. Rudolf Levin (der seit 1941 als Leiter des H-Sonderauftrages in der Abteilung VII C3 - „Wissenschaftliche Sonderaufträge“ fungierte)  wurden zumeist Laien-“Hexen-Forscher“ mit regionalen Recherchen beauftragt, daneben waren jedoch auch eine Reihe renommierter hauptamtlicher und ehrenamtlicher Mitarbeiter involviert, die ihre Forschungen sogar bis nach Mexiko oder Indien ausweiteten. Auch mehrere Forscher aus den Reihen der SS, die ihre Recherchen überwiegend verdeckt durchführten, waren an dem Projekt beteiligt. Bis 1944 suchten sie in über 260 Archiven und Bibliotheken nach den Spuren der Hexenprozesse und werteten dabei sowohl Akten als auch Forschungsliteratur aus. Es handelte sich also um ein vergleichsweise großes Unternehmen mit wissenschaftlichen Ansprüchen, wie schon der quantifizierende Versuch zeigt, die Hexenprozesse zumindest innerhalb des Alten Reiches möglichst vollständig zu erfassen Die über 30 000 erstellten Karteikarten enthalten soweit wie möglich Namen und Herkunft der im Zuge von Hexenprozessen Hingerichteten sowie den Grund für die Verurteilung.
Der „Projektleiter“ der SS-Hexenforschung, Rudolf Levin, gab 1938 als Zweck des „H-Sonderauftrag“ an:
„Erforschung der rassen- und bevölkerungsgeschichtlichen Wirkung der Hexenprozesse sowie der wirtschaftsgeschichtlichen Folgewirkungen der Hexenprozesse; Bewertung der Frau in den Hexenprozessen und schließlich Überblick über das bisherige Schrifttum zu den Hexenprozessen sowie das Verfertigen einer thematischen Bibliographie“.  
Hintergrund der Errichtung des Sonderauftrages war indes Himmlers Bemühung, den Einfluß der christlichen Kirchen, die er als „Stoßtrupp des Weltjudentums“ charakterisierte, auf die deutsche Bevölkerung zurückzudrängen und zugleich die politische Tätigkeit des RSHA auf die geistige Durchdringung der Bevölkerung mittels Aufsätzen und Publikationen zu erweitern. Auf die Hexenproblematik gestoßen wurde Himmler dabei weniger - wie oft behauptet - durch seine persönliche Betroffenheit aufgrund der Existenz eines Opfers in seiner Ahnenreihe, sondern durch eine 1935 im Zuge der Kontroverse um Rosenbergs im Mythus verkündete „9-Mio-Opfer“ der Hexenverfolgung aufkommende Auseinandersetzung mit der Kirche, bei der sich das Fehlen handfester Beweise für die NS-These offenbarte. Daher sollten nun die Verbrechen der Kirche anhand der Hexenverfolgung aufbereitet und akribisch dokumentiert werden. Der H-Sonderauftrag sollte daher einerseits verwertbares Material gegen die katholische Kirche sammeln, andererseits jedoch auch heidnische Überlieferungen der sogenannten Hexen wieder entdecken, um auf eine Wiedererrichtung altgermanischer Religionsvorstellungen hin zu arbeiten, die auf lange Sicht das Christentum ersetzen könnten.
 Trotz der persönlichen Interessen Himmlers,  wurde die offizielle Arbeit der Sonderabteilung-H ihren Ansprüchen nicht in vollem Maße gerecht, die Grundlage der wissenschaftlichen Erforschung der Hexenverfolgung zu liefern - vielmehr scheiterte sowohl die Erstellung eines Grundlagenwerkes, als auch der persönliche Versuch Levins, sich mit diesem Thema zu habilitieren. Der Grund für dieses „Scheitern“ lag jedoch auch in der sinkenden Bedeutung der Hexenforschung seit Beginn des Krieges 1939. Neben der Hexenforschung gewann die Aufklärung der „Freimaurer-Umtriebe“ eine weiter wachsende Bedeutung, da hier eine jüdische Einflußnahme leichter nachgewiesen werden konnte als in Bezug auf die Hexenverfolgung. Seit 1942 trat jedoch auch die Freimaurerforschung unter die Auflärung über das Judentum an sich zurück.    
Der „H-Sonderauftrag“ war bis zum April 1936 gemeinsam mit der „SS-Schrifttumsstelle Leipzig“ in der bekannten Deutschen Bücherei untergebracht. Danach zog die Kartothek gemeinsam mit weiteren Abteilungen des Amtes VII des RSHA in das von den Nationalsozialisten konfiszierte Freimaurer-Logenhaus nach Berlin-Wilmersdorf, bis sie kriegsbedingt 1943 nach Niederschlesien, in das Schloß des Grafen Haugwitz,  ausgelagert wurde. Gegen Kriegsende bezog ein Teil des Amtes VII Quartier bei Rudolstadt/ Thüringen. Der größte Teil der zuerst nach Poznan verbrachten Akten des Amtes VII befindet sich heute in den Beständen der Universitätsbibliothek Posen; Teile wurden 1989/90 aber auch im „NS-Sonderarchiv“ der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen entdeckt.  Die neben der Hexenkartothek in Poznan aufgefundenen Logenbibliotheken und weitere Freimaurerliteratur  schienen aufgrund der zahlreichen mit okkulten oder geheimen Riten und Praktiken gefüllten Bände einen Zusammenhang zur Erforschung geheimer Wissenschaften offenbar zu machen, offiziell jedoch beschränkte sich das Interesse der Abteilung auf die Verwertung der Schriften gegen die Umtriebe der Freimaurerlogen, also der Auseinandersetzung mit dem weltanschaulichen Gegner.   Seit 1942 wurde entsprechend des militärisch geführten Vernichtungskampfes gegen den jüdischen Bolschewismus als Hauptfeind der Jude angesehen, weshalb sich der Schwerpunkt der Gegneraufklärung des Amts VII, welches  aus dem Sonderauftrag hervorgegangen war, nun von der Freimaurerei auf den Juden verlagerte, obgleich Überschneidungen zwischen beiden Gruppierungen seit Beginn hervorgehoben werden sollten. Damit trat die Erforschung der Hexenverfolgung weiter in den Hintergrund, wurde jedoch als untergeordnete Abteilung weitergeführt, obgleich sich mit Schriften zur Hexenfrage befaßte Mitarbeiter nun judenbezogenen „Projekten“ widmeten.
Verbindungen zwischen Sonderauftrag und Ahnenerbe
Unter Ausblendung der Fakten zum H-Sonderkommando gibt es immer wieder wüste Spekulationen um geheime Forschungen: So soll nach Angaben einiger US-Autoren aus dem H-Sonderauftrag, welcher sich selbst, aufgrund der über 30 000 Einträge umfassenden Kartothek, „Kartothekia“ genannt hätte, unter Zuführung weiterer Mitarbeiter eine Abteilung namens „Karothechia“ gegründet worden sein,  welche 1939 offizielle Abteilung des Ahnenerbes wurde.
Während sich das Sonderkommando-H auf die Hexenverfolgung beschränkte, soll sich die „Karothechia“ weltweit mit der Untersuchung vielfältiger okkulter Praktiken auseinandergesetzt haben.
Diese Aussagen dürften jedoch in der geistigen Vermischung der Tätigkeit der Kartothek und der Ahnenerbe-Abteilung zur Überprüfung der sogenannten Geheimwissenschaften begründet liegen, für die es keine ernstzunehmende Quelle gibt, vielmehr besagen diese, daß die Hexenverfolgung auf besondere Anweisung Himmlers nicht in den Bereich des Ahnenerbes fallen sollte:
„Er (Himmler) bittet, davon Kenntnis zu nehmen, daß sich das Ahnenerbe mit Hexenprozeß-Angelegenheiten nicht beschäftigen soll, da diese Aufgabe ausschließlich dem SD zukäme“
  Bestrebungen des Ahnenerbes, das sich bislang ausschließlich auf Aspekte der Vor- und Frühgeschichte beschränkte, die in den Bereich der neuzeitlichen Geschichte fallende Hexenverfolgung thematisch aufzugreifen, stießen somit seit 1938 auf die Ablehnung Himmlers, obgleich innerhalb des Ahnenerbes eine Forschungsstätte für mittlere und neuere Geschichte existierte. Stattdessen sollte die Hexenverfolgung ausdrücklich als Aufklärung über weltanschauliche Gegner Bestandteil des RSHA, bzw. des diesem untergeordneten H- Sonderauftrags bleiben.      
Entsprechend dieses Kompetenzkonfliktes zwischen Ahnenerbe und RSHA existierte auch eine wissenschaftliche Kontroverse, die sich um die Bewertung der Hexenverfolgung drehte. Innerhalb der dem Ahnenerbe nahestehenden Autorenschaft gab es Stimmen, die dem vor allem von Rosenberg und seinem Umfeld gepredigten Ursprung der Hexenverfolgung aus orientalischem Ungeist nicht vorbehaltlos folgen wollten: So faßte der dem Ahnenerbe nahestehende Otto Höfler die Hexenverfolgung als Einfluß der Tradition der altgermanischen Männerbünde auf, war sich jedoch insoweit mit Himmler und dem Sonderkommando einig, als daß die Verfolgung, eine „Ausrottung wertvollen deutschen Blutes bedeutete.“  1935 bezeichnete Rosenberg den auch von einer katholischen Gegenschrift gegen seinen Mythus des 20.Jahrhunderts geäußerten Verdacht der Entstehung des Hexenwahns aus dem „germanischen Charakter“ als „Höhe der Anmaßungen“  und lag damit bemerkenswerter Weise auf der gleichen Linie wie Himmler.
Bernhard Kummer, Schriftleiter der Zeitschrift „Nordische Stimmen“ verfaßte mehrere Zeitschriftenartikel die ebenfalls auf die Wissenschaftskontroverse zwischen ihm als Anhänger der Rosenbergschen Richtung und dem Germanisten  Otto Höfler hinweisen.
Obgleich Kummer schließlich auf Druck der SS-Verwaltung Abbitte leisten mußte, lag die Tendenz Himmlers und des Ahnenerbes entgegen Höflers Ansichten dennoch auf der Linie des orientalischen Einflusses auf die Hexenverfolgung, wie auch der unten aufgeführte Artikel „Der Ursprung des Hexenwahns“ nahelegt.
Trotz der unterschiedlichen Auffassungen zwischen Ahnenerbe und Autoren aus dem Umfeld des Sonderkommandos gab es eine ganze Reihe personeller Verflechtungen zwischen dem Ahnenerbe und dem Sonderkommando-H. Zu nennen ist hier insbesondere Günther Franz, der als Mitglied des Ahnenerbes die verschiedenen Erträge zur Hexenforschung koordinieren sollte. Franz, der seit 1937 Ordinarius für Geschichte an der Universität Jena war, profilierte sich vor allem durch Schriften zu den Bauernkriegen und gelangte über seine Einbindung innerhalb des RSHA zur Thematik der Hexenverfolgung.  
Hier sollte Franz als erfahrener Akademiker und zugleich langjähriger SS- Veteran zur „Evaluierung“ der bis dato wenig effektiven Arbeit der Sonderkommandos-H beitragen, gleichzeitig wurde er auf Empfehlung des RSHA Chefs Six im Mai 1939 in das Ahnenerbe übernommen.  Seit 1941 fungierte er offiziell als wissenschaftlicher Beauftragter des SD im RSHA und war im Rahmen dieser Position maßgeblich an der Beschlagnahmung jüdischer und freimaurerischer Bibliotheken in der Sowjetunion beteiligt. Inwieweit nun diese Beschlagnahmunhg und die Arbeit von Franz auch in den Bereich des Ahnenerbes fällt, kann aufgrund mangelnder Quellen nicht nachvollzogen werden. Festzuhalten bleibt allerdings, daß das vornehmliche Anliegen der Arbeiten von Franz in der Aufklärungsarbeit im Rahmen der Gegnererforschung durch den SD des RSHA lag, dennoch bleibt die Frage bestehen, warum Franz 1939 offiziell auch in das Ahnenerbe übernommen wurde, wo doch Himmler selbst eindeutig dem Ahnenerbe die Zuständigkeit im Bereich der Hexenforschung als auch der Gegnerforschung an sich - in der Franz nunmehr tätig wurde - absprach. Mit Franz als Koordinator der Arbeit des Sonderauftrages wurde jedenfalls seit 1942 der Schwerpunkt der Gegnerorschung auf „den Juden“ gelegt.       

 

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