Trojaburg
 
 
27-01-13 10:22 Alter: 11 Jahr/e

Atlantis-Seevölker lediglich verarmte Aufständische?

Neuer Vorstoß zur Herabsetzung des nordeuropäischen Anteils an der Formung der Antike


Die Tendenz ist nicht neu und dennoch ist das soeben erschienende Buch des Althistorikers Michael Sommer ("Narren im Purpur. Lebensbilder aus der Antike". Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz. 160 S) ein zu erwähnender Markstein. Wärmt doch  der junge Historiker erstmals seit einem längeren Zeitraum wieder längst überholt geglaubte Forschungsansätze zur Geschichte der Menschheit auf – nämlich die alte kommunistische These der ausschließlichen Auslösung von Konflikten durch soziale Ungerechtigkeit. Auf einen Punkt gebracht: Alle Kriege der Menschheitsgeschichte sind Klassenkämpfe, die aufgrund der Unterdrückung der Massen zum Ausbruch kommen. Und genau auf dieser Linie agitiert Sommer, wenn er den Seevölkersturm nicht als Angriff einer Völkerkoalition gegen die alte Mittelmeerwelt, sondern als Aufstand verarmter einheimischer Gruppen charakterisiert.

Einer der ersten, der sich um die Geschichte des in ägyptischen Aufzeichnungen (Papyrus Harris) und Bilderwelten (Medinet Habu)überlieferten Seevölkersturms verdient machte, war der außerakademische Forscher Jürgen Spanuth, der Anfang der 50er Jahre die These aufstellte, die Seevölker seien Invasoren aus Nordeuropa, welche die bronzezeitlichen Kulturen der Hethiter und Mykener auslöschten und die Ägypter an den Rand einer Niederlage brachten. Später konkretisierte Spanuth zwar dieses Szenario dahingehend, dass die Seevölker lediglich eine durch Naturkatastrophen weitgehend zerstörte Welt beerbten, doch allein seine Identifikation der Völkerscharen als Nordeuropäer und ihre Verbindung mit dem sagenhaften Atlantis musste das historische Establishment herausfordern, das Nordeuropa lediglich die Rolle eines rückständigen Kulturimportgebietes bescheinigte.

Seit Spanuth aber ist Bewegung in die Diskussion gekommen. Da die ägyptischen Quellentexte unmissverständlich die Herkunft der Seevölker aus dem Norden beschrieben, relativierten spätere Forscher Spanuths These dahingehend, dass die Invasoren durchaus Indoeuropäer gewesen seien, allerdings aus dem südeuropäischen Raum stammende Illyrer. Unzweifelhaft aber wurde ein Zusammenhang zwischen dem Seevölkersturm und der Ende des 2. Jahrtausends in Mitteleuropa einsetzenden Urnenfelderzeit erkannt, der vor allem durch die Einführung der Totenverbrennung charakterisiert wird. In diese Zeit fallen der Untergang des hethitischen und des mykenischen Reiches ebenso wie die Schwächung Ägyptens, das sich zuvor lediglich mit den beidne vorgennanten Reichen auseinandersetzen musste. Am Ende dieser Umbruchszeit steht jedenfalls die Geburt der Antike und der neuen indogermanisch geprägten Großmächte der Etrusker, Hellenen und Römer. Und zweifellos ist auch Europa Heimat einer weiteren wichtigen Kultur der Bronzezeit, die vor allem in Gestalt der Aunjetitzer Kultur greifbar wird, die wiederum eng mit angrenzenden Räumen , wie der nordischen Bronzezeit war.     

Nun versucht Sommer das Rad der Zeit zurück zu drehen, indem er geflissentlich die Quellentexte ignoriert und an ihre Stelle die kommunistisch-marxistischen Theorien der Geschichte bemüht, wenn er dazu auch auf vorangehende Thesen zurückgreift, welche die Seevölker bereits als profane Piraten bezeichnete. Doch bereits auf den ersten Blick erweist sich dieser Versuch als untauglich. Zwar werden einige der Seevölker-Stämme bereits vor der letzten Auseinandersetzung mit Ägypten genannt – etwa die Schardanen, die als Söldner schon zuvor teils auf ägyptischer, teils auf libyscher Seite stritten. Doch genau dies hatte Spanuth berücksichtigt, als er von mindestens zwei Seevölkerwellen ausging, deren erste bereits Ende des 13. vorchristlichen Jahrhunderts in Gestalt der Libyer und verbündeter Stämme gegen Ägypten vorging aber zurück geschlagen wurde. Dem libyschen Herrscher Meria (Mrjj) folgen die Hilfstruppen der Šardana, Šekeleša, Aqi-waša, Luka, Turiša, Mešweš, Tjehenu und die Tjemehu, die aber 1208 in der Schlacht von Sais geschlagen wurden. Die zweite Welle aber, die in äygptischen Texte als Koalition von Völkern „von den Inseln inmitten des Meeres“ (von Spanuth als Nordmeervölker bezeichnet) genannt werden, stritt um 1180 gegen Ramses III, der sich für die Abwehr dieser Angriffswelle rühmte.

Während also bereits die Quellentexte eindeutig von Völkern oder Volksstämmen berichten erscheint auch die Vorstellung, verarmte Bevölkerungsgruppen wären mächtig genug gewesen, die führenden Reiche dieser Zeit in ihren Grundfesten zu erschüttern, abwegig. Durchaus haben sich zwar solche Bevölkerungsgruppen Invasoren angeschlossen, die ihnen eine neue Lebengrundlage boten, allein waren solche Gruppen bis in die heutige Zeit hinein, nie als Protagonisten tätig – denn dafür reichte ihre Mobilisierungsfähigkeit nicht aus. Ja selbst heute, in Zeiten digitaler Vernetzung, zeigt sich, dass sogenannte Volksaufstände in der Regel nicht von selbst, sondern durch äußere Impulse, oft verdeckt gesteuert durch Geheimdienstkreise, ausgelöst werden.

Was aber das Buch trotz seiner Absurdität wichtig macht, ist seine Rolle im aktuellen Diskurs der Frühgeschichtsforschung. Während die letzten Jahre geprägt waren von vielen jungen Historikern, die ohne größere Scheuklappen insbesondere die nordeuropäische Frühgeschichte einer Revision dahingehend unterwarfen, dass der dieser Raum eben nicht rückständig, sondern kulturell auf der Höhe seiner Zeit, wenn nicht oft auch kultureller Impulsgeber war. Auf diesen Affront reagierte die Zunft der Alteingessenen mit Verschweigen, Ignorieren und Relativieren. Seit einigen Jahren aber mehren sich die Versuche, gezielt junge Historiker zu instrumentalisieren, um das gesichert geglaubte Fudnament der Rückständigkeit des Nordens und das Dogma des Ex Oriente Lux –alle Kultur entstammt dem Orient / Osten - wieder zu errichten.  Michael Sommers Werk jedenfalls ist ein anschaucliches Beispiel für diese Taktik. Und insbesondere dafür, wie Quellen systematisch ausgeblendet werden – Welt.online schrieb dazu euphemisierend „Sommer zählt zu den Historikern, die erzählen und auf Fußnoten verzichten können.“ Genauer wäre der Satz gewesen, er zählt zu den Historikern die auf Fußnoten verzichten müssen, um ihre Thesen auf das Prokrustesbett ihrer vorgefaßten Geschichtsauffassung zwängen zu können. Hauptsache ist dabei, dass der Norden Europas weiterhin aus der frühen Geschichte ausgeblendet und somit die bis heute nachwirkende Erklärung des Verlaufs der Weltgeschichte weiterhin unter einem Schleier von Lügen und Legenden verborgen werden kann.

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