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Der Weltbaum im indogermanischen Mythos
Von Otto Huth
Bei allen großen indogermanischen Völkern finden wir einen ausgeprägten Baumkult. Das ihn tragende Erlebnis kann aus dem indogermanischen Mythos vom Weltbaum erkannt werden. Dieser Mythos ist nur bei den Germanen, Iraniern und Indoariern überliefert; es ist aber kein Zweifel, daß es sich um einen altindogermanischen Mythos handelt. Griechische Kultüberlieferungen lassen vermuten, daß er auch dort einst bekannt war. In verwandter Form findet sich der indogermanische Weltbaummythos bei finnisch-ugrischen und altaischen Völkern, die schon früh mit indogermanischen Völkern in Berührung kamen. Die Erscheinungen der Götter sind nach indogermanischer Überlieferung, wie bereits erwähnt wurde, durch einen leuchtenden Strahlenschein ausgezeichnet. Auch der göttliche heilige Baum ist im ewigen Augenblick entrückten Schauens vom Nimbus umgeben. „In einer Menschheit des triumphierenden Verstandes, die, paulinisch gesprochen, fast nur noch Pneumatiker aufweist, fällt es schwer, überzeugend von Sachverhalten zu reden, die bloß dem Psychiker zugänglich sind, ihm aber freilich weitaus selbstverständlicher vorkommen als unser Glaube an die Mechanik! Das ganze Altertum ... kannte nicht nur menschliche Seelen, sondern erst recht dämonische Seelen und hat uns genaues Zeugnis hinterlassen, wie solche dem Schauenden zu erscheinen pflegten. Demzufolge steht das dämonisch beseelte Bild im Nimbus, was soviel heißt als: in einer leuchtend es umfließenden Wolke... Wenn im befruchteten Augenblick der Psychiker statt die Eiche... nur wahrzunehmen, ihr ‚Urbild‘ zu erschauen vermag, so ist ihm vermittels des nämlichen Sachverhaltes, der uns den so oder so beeigenschafteten Baum bedeutet, eine dämonische Seele erschienen, und das will sagen: er hat als überwältigend wirklich den fluidalen Schauer verspürt, der geheimnisinnig aus dem Wipfel herniederrraunt. Das ungefähr mag für den Nimbus gelten in den Schranken einer Charaktergestaltung, der es allenfalls noch die Kenntnisnahme von überpersönlichem Gehalt aus der Tiefe quellender Gefühle ermöglicht, sich tastend und ahnend zurückzufinden zur Besinnung auf das Erlebnis des Schauens.“ Nach dem germanischen Mythos, den die Edda uns bewahrt, steht der Weltbaum im Nimbus: „Eine Esche weiß ich Yggdrasil heißt sie, den gewaltigen Baum umfließt leuchtender Glanz. Von dort kommt der Tau, der die Täler befeuchtet; immergrün steht er am Brunnen der Urd.“ Die glänzende Flüssigkeit, mit der der Baum begossen ist, wird im Mythos weiter als Met gedeutet, denn der Tau, der vom Baum herabtrieft, ist nach Gylfaginning 16 der Honigtau, von dem sich die Bienen nähren. Der Honig galt bei den Germanen und ebenso bei den Finnen, Griechen, Römern und Indern als Tau, der vom Himmel auf Blumen und Bäume fällt. Aus dem Honig bereitete man das älteste Kultgetränk, den Met (Met = Honig, Honigtrank; altindisch madhu, griechisch trunken sein). Der Met galt als göttliches Feuer, das den Menschen verwandelt; im Kultrausch vermochte er die Götter zu schauen. Der Kultmet heißt im Altnordischen auch heidhr, d. i. leuchtender, strahlender (Met); es scheint dies ein „rituelles Wort für den Opfermet geworden“ zu sein. In der persischen Überlieferung heißt der himmlische Haoma (Rauschtrank) der „weiße Haoma“, und von ihm stammt der irdische Haoma ab. Wegen der leuchtenden hellen Farbe hat man den himmlischen Rauschtrank wohl auch als Milch bezeichnet: der Met der Einherier ist Milch von der Ziege Heidrun. Die Heidrun steht auf dem Dach Walhalls und nährt sich von den Zweigen des Weltbaumes, aus ihren Zitzen rinnt Milch. „Diese Milchströme sind so mächtig, daß alle Einherier sich einen tüchtigen Rausch daraus trinken können“ (Gylfaginning 39). Der Kulttrank, der die Schau des göttlichen Bildes hervorruft, gilt selber als göttlich und leuchtend. Der Mensch, der ihn trinkt, wird von göttlicher Glut erfüllt, und daher schreibt man diesen himmlischen Met auch dem Weltbaume zu, dessen leuchtender Glanz als strahlender Met gedeutet wird. Möglicherweise hieß der Weltbaum im Altnordischen „Metbaum“. Gylfaginning 16 wird erzählt, daß die Nornen die Esche mit dem Wasser des Urdbrunnens besprengen, damit ihre Zweige nicht faulen und hart werden. Dies Wasser dürfte wie das des Mimirbrunnens nichts anderes sein als himmlischer leuchtender Met. Mimir der Weise trinkt täglich aus „Odins Auge“ Met. Sein Auge gab Odin einst zum Pfand für einen Trunk aus dem Mimirbrunnen. Das leuchtende Auge des Gottes - Odin heißt Baleng, der Flammenäugige - und der Brunnen mit dem glänzenden Met sind zwei sich entsprechende Bilder, die dasselbe bedeuten. Das leuchtende Auge ist das schauende Auge, und der strahlende Brunnen ist das geschaute Bild. Auf dieselbe Lösung führt die Überlieferung vom Urdbrunnen. „Jenes Wasser (des Urdbrunnens) ist so heilig, daß alle Dinge, die hineingelangen, so weiß werden, wie das Häutchen, das man Skjall nennt, welches innen unter der Eierschale liegt“ (Gylf. 16). Für den schauend Versunkenen birst die harte Schale des Dinges, und das verborgene Bild tritt leuchtend in Erscheinung. Vor dem taghellen Bewußtsein erblaßt das Bild und wird zum kalten, seelenlosen Ding. Es sei erinnert an die Worte, die Schiller Wallenstein über den gefallenen Max Piccolamini sagen läßt:
Doch fühl´ich´s wohl, was ich an ihm verlor.
Die Blume ist hinweg aus meinem Leben,
Und kalt und farblos seh´ich´s vor mir liegen.
Denn er stand neben mir, wie meine Jugend.
Er machte mir das Wirkliche zum Traum,
Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge
Den goldenen Duft der Morgenröte webend.“
Das hohe Alter der germanischen Weltbaummythe geht aus ihren arischen Entsprechungen hervor. Nach altindoarischen Texten steht im Himmel der Aschwatha-Baum, der „Sitz der Götter“. Hier ist auch ein Brunnen, aus dem soma, madhu und amŗta entströmen. Der Soma ist der altindoarische Kulttrank, der dem persischen Haoma entspricht. Er wird als ein gelber Saft beschrieben, der aus einer in den Bergen wachsenden Pflanze gepreßt wurde. Madhu ist Honig und Honigmet, der dem germanischen Met völlig entspricht; Amŗta schließlich bedeutet „unsterblich“, wörtlich „todlos“ und ist eine Bezeichnung des Kulttrankes, ursprünglich wahrscheinlich des Honigmets. Dies letzte Wort stimmt überein mit dem griechischen Wort für Ambrosia. Ambrosia ist wie Nektar die Götterspeise und der Göttertrank der Griechen, deren Genuß die Götter die Unsterblichkeit verdanken. Beides sind Namen für den Honig und den Met. Der indoarische Weltbaum wird auch somaträufelnd (somasavana) genannt, das entspricht völlig der germanischen Überlieferung, nach der Met vom Weltbaum fließt. Nur ist in der indoarischen Überlieferung an Stelle des Metes der Soma, ein eigentümlich arischer d. h. indoiranischer Kulttrank getreten. Der indoarische Weltbaum wird in der älteren Überlieferung als Feigenbaum bezeichnet.
Im mittelalterlich arischen Indien begegnet die Anschauung, daß der Weltbaum auf dem Weltberg, dem goldenen Berg Meru, steht. Er wird hier als Jambu-Baum bestimmt, d. i. ein Obstbaum (Eugenia Jambolana, rose-apple tree).
Der Weltbaum der Perser steht mitten im Himmelssee, er enthält die Samen aller Pflanzen und heißt haoma. Er ist der weiße haoma, von dem der indische haoma abstammt. In späteren Quellen heißt es von ihm, daß aus ihm der Unsterblichkeitstrank bereitet wird. Man nennt ihn auch den allheilenden, gutheilenden.
Blicken wir noch einmal zurück: Im Brauchtum des deutschen Mittwinterfestes finden wir Lichterbäume und Baumleuchter, die im Mittelpunkt der Feier stehen, aber nur in neuerer Zeit belegbar sind. Es ergaben sich aber anhaltspunkte dafür, daß bereits im Mittelalter diese Kultleuchter bekannt waren und teilweise in den kirchlichen Kult einbezogen wurden. Vollends das Vorkommen lichtergeschmückter Bäume in den Festfeiern anderer indogermanischer Völker machte es wahrscheinlich, daß der Lichterbaum bereits dem germanischen Kult zuzusprechen ist und bis in die urindogermanische Zeit zurückreicht. Dafür ergab sich die Bestätigung daraus, daß ein solcher indogermanischer Kultbaum, der nicht überliefert, aber mit Bestimmtheit zu erschließen ist, ein in überraschender Weise übereinstimmendes Gegenbild im indogermanischen Mythos hat.
[aus: Otto Huth: Der Lichterbaum]
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