Trojaburg
 
 

Herman Wirth

Herman Wirth

Herman Wirth zählt zu jenen Persönlichkeiten, deren Lebenswerk zumeist unter ausschließlichem Blick auf  ihre Tätigkeit innerhalb des Dritten Reiches bewertet wird. Im Falle Herman Wirths, der noch bis ins hohe Alter hinein forschend tätig gewesen ist, und innerhalb seiner Herman-Wirth-Gesellschaft - später „Ur-Europa e.V.“ - früh- und geistesgeschichtlich Interessierte jeder politischen Couleur zu begeistern vermochte, gesellt sich der politischen Ächtung noch der Vorwurf einer „schwärmerischen Unwissenschaftlichkeit“ bei, der bemerkenswerter Weise bereits während der 30er verschiedentlich geäußert wurde.
Bei vielen negativen Urteilen über Wirth kann man sich dabei des Eindruckes nicht erwehren, daß der „Inquisitor“ weder Wirth selbst noch dessen Werke zu kennen scheint. Auffällig ist dies nicht nur in der angloamerikanischen Forschungsrichtung der „okkulten Wurzeln des 3. Reiches“ - innerhalb derer Herman Wirth rangiert -, sondern auch in der deutschen Literatur, obgleich hier verschiedene herausstechende objektivere Betrachtungen existieren. So begnügt sich der schottische Betrachter der okkulten Strömungen des 20. Jahrhunderts, James Webb, mit dem spärlichen Hinweis auf Wirths Zuständigkeit, „für die abstruseren Aspekte der Ur- und Frühgeschichte“, denen er versucht habe, innerhalb des Ahnenerbe-Institutes „einen offiziellen Rahmen zu geben.“ Grundlage dieser Einschätzung Webbs, war neben Wirths Eintreten für die als Fälschung geltende Ura-Linda-Chronik, sein Glaube an ein nordisches Atlantis sowie seine Affinität zu immateriellen mescnhlichen Gaben, die bei Webb in der Bemerkung gipfeln, er hätte dem Gast Friedrich Hielscher Gedanken seiner Frau mitgeteilt, die er auf telepathischem Weg von ihr erfahren habe.
Tatsächlich war der am 06.05. 1885 als Sohn des Gymnasiallehrers Ludwig Wirth und seiner holländischen Ehefrau Sophie Gijsberta in Utrecht geborene Wirth eine umfassend interessierte Persönlichkeit. Er studierte in seinem Heimatort niederländische Philologie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft. Nach einigen Semestern setzte er sein Studium in Leipzig fort, wo seine bereits durch den Vater geförderte Vorliebe für die deutsche Kultur weiter zunahm. Nach Utrecht zurückgekehrt, bestand Wirth 1908 sein Staatsexamen und promovierte 1910 mit der Arbeit „Der Untergang des niederländischen Volksliedes“ an der Universität Basel beim dortigen Volkskundler John Meier zum „Dr.phil.“. Darauf kehrte er als Dozent für niederländische Philologie an die Berliner Universität zurück, wo er sich neben volkskundlichen Studien auch für die niederländische Volksmusik begeisterte. Zusammen mit einer Gruppe begeisterter Anhänger führte er Veranstaltungen durch, in denen früh-niederländische Musikdarbietungen mit Vorträgen kombiniert wurden. 1913 heiratete er eine beteiligte Musikerin, Margarethe Schmitt, Tochter eines damaligen bekannten Landschaftsmalers.  
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges meldete sich Wirth freiwillig zum deutschen Militär. Aufgrund seiner niederländischen Staatsangehörigkeit setzte ihn das Militär in der Zivilverwaltung im deutsch besetzten Belgien in Gent ein, wo er als Verbindungsmann zu den - deutschfreundlichen - flämischen Separatisten fungierte. Nicht zuletzt wegen seines Engagements als gebürtiger Niederländer für Deutschland wurde er 1916 von Kaiser Wilhelm II. zum Titularprofessor ernannt. Allerdings ging einigen deutschen Offizieren sein Einsatz für Flandern zu weit, so daß er noch 1916 von seiner Position abberufen wurde.  Nach dem Zusammenbruch 1918 gründete Wirth in den Niederlanden die bündische Organisation „Landsbond der dietsche Trekvogels“, eine niederländische Variante des Wandervogels. In diesem Zusammenhang erkannte er, daß der deutschen Jugend bei allem völkischen Enthusiasmus die eigentliche geistige Urgrundlage fehlte:
„Denn daß die Edda keine „germanische Bibel“ war - wie von „nordischen Glaubensbewegungen“damals (und sogar noch heute) mit tragischer Ehrfurcht angenommen wurde - das war mir soweit klar geworden. Aber was lag dahinter?“ Mit dieser Fragestellung verband sich der Beginn des Suchens und Tastens Wirths zurück zur europäischen Geistesurgeschichte - lange vor dem Walhalla- und Götterglaube der Germanen.
Zu dieser Zeit - 1924 - ließ sich Wirth in Marburg nieder und gründete das Haus Eresburg als Studienort. 1925 trat er dann der NSDAP bei. Bereits 1926 folgte sein Parteiaustritt, dessen Begründung umstritten ist. Wirth selbst führte an, durch diesen Schritt der Bewegung von größerem Nutzen gewesen zu sein, da er dem Nationalsozialismus entgegenkommende Thesen ohne Vorwurf der Parteilichkeit propagieren hätte können. Andere Stimmen behaupteten demgegenüber, Wirth hätte zu dieser Zeit jüdische Gelder angenommen und werten dies als Beweis für seinen vorgeblichen Opportunismus.
Wie sich der Austritt auch immer erklären läßt, sticht hier bereits Wirths eigenwilliger Charakter hervor, sich bei aller unumstrittenen geistigen  Nähe zur NS-Bewegung auch bei innerer Überzeugung von ihrer Richtigkeit, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen.
Bereits seit 1921 mündete Wirths Interesse an den Grundlagen der „germanischen“ Kultur in volkskundlichen und frühgeschichtlichen Forschungen, in deren Mittelpunkt die Sinnbild- und Kultsymbolik stand.
Mit seinem 1928 bei Eugen Diederichs in Jena veröffentlichten Werk „Der Aufgang der Menschheit“ begeisterte er weite Kreise der völkischen Anhänger. Durch die Deutung des Hakenkreuzes als „arteigenem Heilszeichen” bereitete er auch - gemeinsam mit anderen Forschern - dem späteren Symbol des Dritten Reiches ein theoretisches Fundament (siehe unten folgenden Beitrag).
Im gleichen Jahr erfolgte die Gründung der Herman-Wirth-Gesellschaft“ welche den grundlegenden Thesen Wirths eine weitere Verbreitung verschaffen sollte  - die Abstammung noch heute weltweit anzutreffender Sinnbildsymbolik von einer jungpaläolithischen, arktischen Kultur, die bereits einen auf dem Sonnen-Jahreslauf basierenden (Ur-)Monotheismus und Lichtbringerglauben besessen hätte und identisch mit der atlantisch-nordischen Rasse wäre.
1932 führte Wirths Nähe zur NSDAP, die sich auch in einem Wahlaufruf Wirths zugunsten der NSDAP 1932 im völkischen Beobachter widerspiegelte, zur Gründung des Forschungsinstitutes für Geistesurgeschichte in Bad Doberan auf Betreiben der nationalsozialistischen Landesregierung von Mecklenburg-Schwerin. Im Mai 1933 folgte mit Unterstützung des nationalsozialistischen mecklenburgischen Ministerpräsidenten die Eröffnung der Ausstellung „Der Heilbringer - Von Thule bis Galiläa und von Galiläa bis Thule“, in der Wirth auf die Vorwegnahme des Christentums im Norden Europas anspielte. Die Reaktionen auf die Präsentation von Wirths Forschungsergebnissen war jedoch auch unter Anhängern des Nationalsozialismus umstritten. Mit Wirths Eintritt für einen „wahren Quellenkern“ der Ura-Linda-Handschrift“, die er 1933 mit einem Kommentar veröffentlichte, steigerte sich die Polarisierung um Wirth weiter. Die Mehrzahl der akademischen Frühgeschichtsforscher wandte sich gegen Wirth, nur wenige anerkannte Fachleute nahmen ihn in Schutz - etwa der Prähistoriker Gustav Schwantes, der von einem „Funken echten Geniums“ Wirths sprach. Hauptkritikpunkt der Kritiker Wirths waren dabei vor allem Passagen innerhalb der Chronik, die sich nicht mit dem herrschenden Frühgeschichtsbild nationalsozialistischer Frühgeschichtsforscher deckten sowie die vielen neuheidnischen ausgerichteten Forschern aufstoßende Nähe zum Christentum, zugleich aber auch Wirths aus der ULH abgeleitete Überzeugung von der großen Bedeutung des Weiblichen in der nordischen Frühzeit, die sich in einer matriarchal geprägten Gesetzgebung und Rechtsprechung manifestiert hätte.
Trotz dieser den Plänen Himmers zur Errichtung eines SS-Männerordens auf den ersten Blick entgegenstehenden Ansätzen Wirths, war der SS-Reichsführer nach Bekanntschaft des Marburger Forschers durch Vermittlung Johannes von Leers den Forschungen Wirths gegenüber empfänglich. Obgleich aufgrund der innerhalb der NSDAP ausgebrochenen Kontroversen um Wirth das Forschungsinstitut für Geistesurgeschichte in Bad Doberan nach Streichung der Gelder 1934 wieder geschlossen werden mußte, unterstützte Himmler gemeinsam mit Richard Walther Darée die Einrichtung einer neuen Ausstellung „Der Lebensbaum im Germanischen Brauchtum“ im Gebäude des Reichsnährstandes.   
Kurz danach mündete die neue Allianz am 1. Juli 1935 in der Gründung des Projektes Ahnenerbe, „Verein zur Erforschung der Geistesurgeschiche“, Hier ging Wirth seinen Forschungen zu symbolkundlichen Überlieferungen nach und errang mit der Aufstellung einer Sammlung von Gipsabgüssen prähistorischer Felsbilder aus Bohuslän, die während einer offiziellen Ahnenerbe-Expedition angefertigt wurden, auch internationale Anerkennung. Doch Herman Wirth war kein Forscher, der bereit war, seine Erkenntnisse bedingungslos einer politischen Doktrin zu unterstellen was zwangsläufig zu Kontroversen mit einigen übereifrigen Parteivertretern führen mußte. Die Differenzen mit Vertretern eines neuen Kurses des Ahnenerbes, der sich stärker an den politischen Erfordernissen der NSDAP orientieren sollte, wurden schließlich unüberbrückbar; Wirth wurde als Präsident des Ahnenerbes durch den Orientalisten und Dekan der Münchener Universität Walther Wüst ersetzt und fungierte lediglich noch als „Ehrenpräsident“. Ausschlaggebend  für diese Entscheidung Himmlers waren verschiedene Faktoren. Zum einen war Wirth als Forscher „mit Leib und Seele“ wenig den organisatorischen Angelegenheiten zugeneigt, die sich ebenfalls mit der Position als Präsident eines offiziellen Forschungsinstitutes verbanden. Schon immer hatte Wirth Probleme, sein finanzielles Budget angemessen zu verwalten, was nach dessen kostspieliger, im offiziellen Rahmen des Ahnenerbe erfolgten Skandinavien-Fahrt zur Erstellung von Gipsabgüssen von Felsbildern 1936 den Zorn Himmlers heraufbeschwor, der seinem Präsidenten vorwarf, damit das Ahnenerbe „an den finanziellen Ruin“ zu treiben.  Daneben war es das generelle Bemühen Himmlers, sein Ahnenerbe-Institut wissenschaftlicher auszurichten, wozu als Präsident unbedingt eine wissenschaftlich integre Person gefunden werden mußte. Letztendlicher Auslöser der „Kaltstellung“ Wirths war jedoch die Kritik von höchster Stelle. Diese erfolgte in Form einer Rede Adolf Hitlers gegen die „Art von Böttcherstraßen-Kultur“, die Deutschland nur schaden würde. Eine Polemik, die sich nicht nur gegen Ludwig Roselius mit seinem Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße, sondern auch gegen Herman Wirth als dessen Mentor richtete. Himmler entschied sich, den wissenschaftlich und politisch unumstrittenen Indologen Walther Wüst zum neuen Frontmann des Ahnenerbes zu küren. 1939 wurde Wirth, der nicht daran dachte, sich einer politischen Doktrin zu beugen,  nunmehr von seiner Position als Ehrenpräsident enthoben und mit einem Vortrags- und Lehrverbot belegt. Bis Ende des Krieges lebte er mit seiner Frau zurückgezogen in Marburg, erhielt aber bis 1944/45 auf direkte Anweisung Himmlers Forschungsbeihilfen. 1945 wurde Wirth nach Denunziation durch einen Nachbarn von den US-amerikanischen Truppen für zwei Jahre interniert. Nach seiner Freilassung als „Mitläufer“ zog es ihn für einige Jahre nach Schweden. Bereits 1954 kehrte er jedoch in seine alte Heimat Marburg zurück, wo er als Privatgelehrter lebte. Trotz seiner negativen Erfahrungen mit dem NSDAP-Parteiapparat trat er anläßlich seiner Wiedergutmachungsklage wegen des Verlustes seiner Professur im 3. Reich aus Überzeugung auch öffentlich für seiner Ansicht nach richtige Aspekte des Dritten Reiches ein, weshalb er die Klage verlor und von verschiedener Seite als unverbesserlicher Nazi-Anhänger eingestuft wurde. Dennoch erheilten seine Lehren über „mütterlich geprägte Urkulturen” in den 1970er Jahren Resonanz in der sich entwickelnden Alternativszene und in Unterstützergruppen für die nordamerikanischen Ureinwohner. 1974 errichtete die Ur-Europa-Gesellschaft in Fromhausen/ Horn, in der Nähe der Externsteine,  eine kleinere Ausstellung mit über 700 Ausstellungsobjekten.
Pläne in Kusel ein Museum mit der ethnographischen Sammlung Wirths einzurichten schlugen aufgrund einer gezielten Denunziationskampagne gegen Wirth, bei der auch die Zeitschrift „Der Spiegel“ eifrig mitwirkte, fehl. Alternativ kam es 1979 stattdessen zu einer kleinen „Oster-Maien“Ausstellung in Thallichtenberg, wohin Wirth nach dem Tod seiner Gattin 1979 übergesiedelt war.  
Die Behauptung, derzufolge Wirths historische und ethnographische Thesen „von der wissenschaftlichen Fachwelt einhellig abgelehnt wurden und werden und .. durch keinerlei Quellen belegbar (sind)“, ist allerdings falsch.

Bibliographischer Auszug:
- Der Untergang des niederländischen Volksliedes. 1911
- Der Aufgang der Menschheit- E. Diederichs, Jena 1928.    
- Die Heilige Urschrift der Menschheit. Koehler & Amelang, Leipzig 1931–1936.
- Der Heilbringer. Von Thule nach Galiläa. 1930
- Die Ura-Linda-Chronik. Leipzig 1933.
- Was heißt deutsch? Ein urgeistesgeschichtlicher Rückblick zur Selbstbesinnung und Selbstbestimmung. Jena 1931
- Um den Ursinn des Menschseins. Marburg 1960
- Der neue Externsteine-Führer. Marburg 1969
- Führer durch das Ur-Europa-Museum mit Einführung in die Ursymbolik und Urreligion. Marburg 1975
- Europäische Urreligion und die Externsteine. Wien 1980

[Aus: Indogermanisches Erbe & 3. Reich]

[zurück]

 

 

© 2013 Parzifal Gestaltung: Druckfahne Medien. Template Idee: ChocoTemplates.com