Trojaburg
 
 

Schilfbootexpedition Abora III

Sich auf der Erde bewegen. Orte wieder finden. Ankommen. Orientierung und Kommunikation sichern von je her unser Überleben. Je besser wir beides beherrschen, desto weiter kommen wir.
Heute leben wir in einer Welt ohne Entfernungen. Die Welt wird Dorf genannt, weil Technik aus Weltreisen Katzensprünge macht. Die weitweite Dorfgemeinschaft, möglicherweise ist sie viel älter als wir glauben. Vielleicht wurde der Grundstein zum globalen Dorf schon von den Menschen der Steinzeit gelegt. Denn waren die Ozeane damals wirklich Barrieren? Oder längst Brücken zwischen den Kontinenten?
Aus diesem Grund soll zum ersten Mal in der Neuzeit ein prähistorischer Rahsegler die für unmöglich gehaltene Nordroute des Atlantiks überqueren, um zu beweisen, dass bereits die Menschen der Steinzeit diesen Navigationsweg meisterten.

Die Fortsetzung eines Steinzeitexperimentes

Im Jahr 2002 startete das nach vorägyptischen Felsbildern gebaute Schilfboot ABORA II mit dem Ziel, archäonautisches Neuland zu beschreiben. Zum ersten Mal konnte ein prähistorisches Schilfboot eine Hin- und Rückreise über das klimatisch schwierig zu besegelnde Mittelmeer durchführen. Im Segelexperiment gelang es der internationalen Crew, die hauptsächlich aus deutschen und norwegischen Expeditionsteilnehmern bestand, mit der Strömung bis mindestens 75° gegen die vorherrschenden Winde im Mittelmeer anzusegeln. Die gelungene Hin- und Rückfahrt der ABORA II führt deshalb zu neuen Fragestellungen: Wenn es einen kulturellen Austausch hin und wieder zurückgegeben haben konnte, mussten diese Explorationen am Ausgang des Mittelmeers ein Ende finden? Gab es nicht möglicherweise doch interkontinentale Beziehungen zwischen den Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks?
Wissenschaftlich abgesicherte Antworten auf diese Fragen lassen sich nur schwer finden. Es mehren sich aber die Hinweise, daß die Menschen schon lange vor Kolumbus den Atlantik überquerten. Die Entdeckung gleicher Kultur- und Drogenpflanzen diesseits und jenseits des Atlantiks liefert weiteren Zündstoff für transatlantische Handelsreisen. Wissenschaftler wiesen in ägyptischen Mumien mehrfach Spuren von Nikotin und sogar Cocain nach(1). Außerdem fanden sich in der Mumie von Pharao Ramses die Reste von Tabakblättern sowie dem mexikanischen Tabakkäfer. Dieser zoogeographische Beleg des Tabakparasiten aus Amerika deutet an, daß die Tabakkäfer als „blinde Passagiere“ passiv über ausgedehnte Handelsnetzwerke mit verbreitet worden sind. Dass würde bedeuten, daß die Menschen der Alten Welt spätestens seit der Jungsteinzeit Handel mit den Ländern des präkolumbianischen Amerikas betrieben haben.
Die Atlantikpassage von Amerika nach Europa führt durch den Nordatlantik entlang des Golfstroms. Diese Nordroute wird nicht zuverlässig durch gleichmäßige Winde unterstützt. Je nach Großwetterlage können überraschend östliche Winde aufkommen, gegen die Mannschaft und Schiff viele Tage aufkreuzen müssen. Sonst werden sie durch den Wind wieder in Richtung Ausgangspunkt der Reise zurückgedrückt.
Heutige Schiffahrtsexperten sprechen genau diese Fähigkeit zum Aufkreuzen den steinzeitlichen Seefahrern noch immer ab. Aber jede Annahme ist nur so lange gültig, bis das Gegenteil bewiesen wird. Aus diesem Grund kann die Mission der ABORA noch nicht zu Ende sein, denn es fehlt nach Thor Heyerdahl noch immer der experimentelle Nachweis, daß man mit einem prähistorischen Seefahrzeug über die klimatisch viel schwierigere Nordatlantikroute wieder zurück reisen konnte. Im Unterschied zur Südroute wird dieser Seeweg nicht durch gleichmäßige Winde begleitet.

Die ABORA III entsteht in bewährter Tradition

Der erste Schritt bestand darin, den Rumpf in bewährter Weise am Titikakasee in Bolivien zu bauen. Der eigentliche Bau der ABORA III erfolgte mit Hilfe der berühmten Aymara-Familie Limachi, die bereits für Thor Heyerdahl die RA II und die TIGRIS bauten. In dem Dorf Huatajata begannen wir im Winter 2005 die Bootsbauarbeiten mit 12 Tonnen Totoraschilf. Totoraschilf Scirpus californicus ssp. totora gehört der gleichen Gattung an, die auch im frühen Mittelmeer zum Schilfbootbau benutzt worden ist. Diese Sumpfpflanze ist weltweit verbreitet und hat eine Schwimmfähigkeit von über einem Jahr.
In weniger als acht Wochen bauten zehn Aymara-Indianer den Doppelrumpf in Methode der ägyptisch-mesopotamischen Bootsbauer. Dabei werden zwei große Hauptbündel in einem großen Baugerüst gefertigt. Anschließend werden die Kompaktbündel mit einem dritten Bündel, der Mittelrolle, fest miteinander verschnürt. Das Ergebnis ist ein Doppelrumpffloß, das ein wenig Ähnlichkeit mit einem modernen Katamaran besitzt.
Die ABORA III sollte im Jahr 2006 über den Atlantik segeln. Jedoch führten finanzielle Engpässe zu einer Verschiebung der Seereise, die vor allem im Auffinden eines finanzierbaren Bauplatzes lagen. Dieser wurde nach langem Suchen in Liberty Harbor Marina gegenüber der Südspitze Manhattans gefunden. Erst danach konnte der Transport durch das Hamburgische Unternehmen Rohde & Liesenfeld nach Nordamerika erfolgen.

Aufbau nach prähistorischem Vorbild

Während Thor Heyerdahl seine beiden Papyrusflöße RA I & II ausschließlich nach altägyptischen Tempeldarstellungen bauen ließ, wurde der Grundbauplan für alle ABORA-Schiffe nach vorzeitlichen Schilfsbildern erstellt. In Jahre langer Recherche und Experimentalforschung untersuchte der Autor Schiffsdarstellung der vorägyptischen Negade-Kultur auf ihre Takelung und Seetüchtigkeit. Von diesen Darstellungen übernahm der Autor alle wichtigen konstruktiven Details damaliger Segelschiffe, wie einen massiven Rumpf, die Mastposition mit einem großen Rahsegel, die frei beweglichen Steuerruder ohne Ruderrast, die beiden Korbhütten und die für das Segeln auf Schilfbooten so wichtigen Kielschwerter. Jene Seitenschwerter (engl. leeboards) sind es, die das Schilfboot befähigen, am Wind segelnd Kurs in Richtung Osten zu halten.
Der Bau der Aufbauten erfolgte durch die Mitglieder des Vereins Experimentelle Archäologie und Forschung Chemnitz e.V. Unterstützt wurden sie durch Freiwillige aus Amerika, Norwegen und Bolivien. Nach vorägyptischem Vorbild wurden die Aufbauten aus Holz, Korbmaterial und Seilen gefertigt, so wie Menschen aus der Vorzeit es hätten bauen können. Alle Verbindungen der Takelage wurden auf vorzeitlicher Weise nur mit Seil gebunden. Begrenzte Nachgiebigkeit ist absolut notwendig beim Bau aller hölzernen Aufbauten an Bord eines flexiblen Bündelbootes, weil starre Verbindungen unweigerlich bei Seegang brechen würden.
Nach acht Wochen Bauzeit und der Überwindung zahlloser Schwierigkeiten wurde das Schilfboot mit zweiwöchiger Verspätung fertig gestellt. Der Stapellauf fand am 8. Juni 2007 statt. Das Schiff wurde nach einer altkanarischen Gottheit auf den Namen ABORA III getauft.
 
Experimente vor der imposanten Skyline Manhattans

Bevor wir das erste Mal Segelsetzen konnten, mußten noch zahllose Handgriffe erfolgen, um den Schilfsegler seeklar zu bekommen. Viele Arbeiten konnten jetzt nur noch vom Wasser aus erfolgen, was eine Menge Zeit benötigte. Mit dem Stellen des Mastes und der Vorfertigung der Takelage setzte man am 12.6.2007 das erste Mal Segel. Das Ziel des ersten Experimentes bestand vor allem darin, herauszufinden, ob die Transportschäden keinen nachteiligen Einfluß auf die Segeleigenschaften hatten. Es bestand große Sorge, daß die ausgebesserten Deformationen am Rumpf den Segler nicht auf geraden Kurs fahren ließen. Danach erfolgten Experimente, um die künftige Crew mit den Eigenheiten ihres Seitenschwert-Seglers vertraut zu machen. Versuch auf Versuch wurde gefahren. Auch bei Starkwind bis zu 30 Knoten Wind wurde gesegelt, um die Crew auf die rauen Bedingungen im Nordatlantik vorzubereiten.
Segeln mit einem Steinzeitfloß vor der Skyline von Manhattan war natürlich auch ein großes Erlebnis. Der Kontrast konnte kaum krasser gewesen sein: Ein prähistorischer Schilfsegler und die Hightech-Schiffe der Neuzeit vor einer atemberaubenden Kulisse. Immer wieder erschwerten schwere Regengüsse den Fortschritt der Vorbereitungen, was schließlich zu einer Verschiebung des Expeditionsstarts führte.

Mit einem prähistorischen Rahsegler über den Nordatlantik

Am 11. Juli 2007 starteten wir unsere abenteuerliche Seereise. ABORA III sollte das erste Mal in der Neuzeit den Nordatlantik von West nach Ost überqueren. Die so genannte Nordroute über den Atlantik wird durch schwere Stürme, plötzliche Windwechsel und schwierige Strömungen charakterisiert.
An Bord befand sich ein internationales Team von elf Personen aus drei Nationen. Sie stellten sich das Ziel, gemeinsam von New York über die Azoren bis zur Iberischen Halbinsel zu segeln. Mit dem Start bestand die erste Aufgabe, sich vom amerikanischen Küstenschelf mit seinen Gezeitenströmungen in den Golfstrom freizusegeln. Nach anfänglich günstigen Südwinden wurde die Expedition durch eine fast neuntägige Flaute festgehalten. Deshalb erreichte die ABORA III erst Ende Juli den Golfstrom, mit dem man eine Beschleunigung der Seereise erwartete. Der Golfstrom ist im Unterschied zu anderen Meeresströmungen ein meanderndes Strömungsband mit ungleichmäßiger Strömungs­richtung und Geschwindigkeit. Seine Ränder werden durch große Wasserwirbel flankiert, die als „cold water eddy“ entgegengesetzt oder als „warm water eddy“ mit dem Uhrzeigersinn drehen. Je nach Strömungsrichtung wird die Fahrt beschleunigt oder abgebremst. Jedoch sollten selbst die Kaltwasserwirbel in ihre Gesamtheit als Gebilde eine östliche Bewegung besitzen.
Unsere Segelkurse zeigen, daß diese Strömungseffekte am stärksten den Expeditions­fortschritt beeinflußten. Mit Strömungsunterstützung legte die ABORA III bis 6,2 Knoten und bis 102 Tagesmeilen zurück. Auf der anderen Seite bremsten mehrere „cold water eddies“ die Fahrt oder zwangen uns mehrfach auf einen Kurs quer zu unserer Fahrtrichtung. Auch östlich des 50. Längengrades änderten sich die klimatischen Bedingungen nicht. Das lag vermutlich an dem ungewöhnlich schlechten Sommer 2007. Ab Anfang August wurde das Schilfboot alle zwei bis vier Tage von Tiefdruckausläufern auf dem 41. Breitengrad heimgesucht. Im Monatsverlauf wurde die ABORA III von zwei schweren Stürmen mit bis zu 10 Windstärken aufgebracht, die es ohne schwere Schäden überstand. Das Schilfboot erwies sich in diesen und anderen schweren Wettern als absolut hochseetauglich und wetterfest. Große Wellen zwischen 7 bis 9 Meter Höhe ritt das Schilfboot ohne Mängel ab.
Am 24. August 2007 nur 850 Meilen vor den Azoren näherte sich aber ein riesiger Zyklon, der fast den gesamten zentralen Nordatlantik ausfüllte. Sturmwarnungen von dem Deutschen Wetterdienst rieten uns, weit nach Süden vom 41. auf den 37. Breitengrad auszuweichen. Die ABORA III konnte noch rechtzeitig vor Einsetzen des Orkans die Südseite des Sturmtiefs erreichen und erhielt so „nur“ Winde der Stärke 7. Aufgrund des Umstandes, daß dieses Tief aber über drei Tage andauerte baute sich eine schwere und vor allem kurze See auf. Diese führte in der zweiten Nacht zu starken Beschädigung des Hecks. Es wurde in den darauf folgenden Tagen von der Crew abgetrennt und das Boot ohne Achtersteven weiter gesegelt.

Schiffsumbau mitten im Ozean

Eine Woche nach dem großen Sturm hat die Mannschaft der ABORA III aus ihrem beschädigten Floß wieder ein richtiges Segelboot gebaut. Die Verkürzung des Bootes führte zu einer starken Luvgierigkeit (Neigung des Schiffes, gegen den Wind zu fahren). Um diesen Mangel auszugleichen zog der Expeditionsleiter altägyptische Tempel­dar­stellungen und Schiffsbilder von griechischen Vasen heran, um das Schilfboot wieder segelklar zu bekommen.
Die Segelergebnisse nach der Reparatur übertrafen all unsere Erwartungen. Wir konnten wieder volles Tuch setzen und bis 100° quer an den Wind fahren. Mit besserem Wetter hofften wir, in der Lage zu sein, doch noch wenigstens die Azoren zu erreichen. Unsere Arbeiten am Schilfrumpf hatten verhindert, dass wir kein Totora mehr verloren und unser Auftrieb stabil blieb. Lediglich unsere Achterhütte hing etwas schräg im Wasser. Aus Sicherheitsgründen haben wir von den Azoren ein großes Begleitschiff gesandt.
Nur zwei Tage nach der Instandsetzung und dem Umbau der sturmgeprüften ABORA III überrascht die internationale Crew ein weiteres starkes Tiefdruckgebiet. Wir wußten bereits, daß alle neuen Einrichtungen lediglich Provisorien waren, die nur bis 4 Windstärken standhalten würden. Alles Weitere war absolutes Neuland, für das wir uns best möglichst präpariert hatten. Bei Windstärke 5 hielten noch alle neuen Einrichtungen dem Druck der Wellen und des Windes des nächsten Tiefs stand. Doch als der Wind von mittleren 19 kn bis auf 26 kn anstieg, baute sich innerhalb von zwei Stunden eine hohe und kurze Welle auf, so daß die ägyptische Steuervorrichtung diesen Belastungen nicht standhielt und auf der Luvseite brach. Aufgrund des Umstandes, daß wir nach dem Vorfall mit dem Heck nochmals 200 Meilen zurücklegen konnten, und wir seit vier Wochen nicht das ersehnte Azorenhoch erhielten, war es unwahrscheinlich, daß sich das Wetter in den noch notwendigen zwei/drei Wochen bis zu den Azoren erheblich bessern würde. Es war viel wahrscheinlicher, daß wir weitere starke Tiefdruckgebiete abbekommen würden. Aus diesem Grund entschied ich mich, das Experiment 550 Seemeilen vor den Azoren zu beenden.

Segelerfahrungen auf einem vorzeitlichen Rahsegler

Uns war die einmalige Erfahrung vergönnt, die Segelfähigkeit dieses prähistorischen Rahseglers im Nordatlantik zu erforschen. Wir durften erleben, wie sich bestimmte Konstruktionen unter Sturm in hoher See bewährten, andere wiederum den Belastungen des Nordatlantiks nicht Stand hielten. Die Erfahrungen aus unserer ungefähr 2400 Meilen langen Expedition, liefern uns neue bisher nicht da gewesene Erkenntnisse über die Ausbreitungsmöglichkeiten vorzeitlicher Kulturvölker. Nach den von uns gemachten Beobachtungen und technischen Messungen mit der ABORA III kommen wir zu der Einschätzung, daß der Nordatlantik für frühgeschichtliche Kulturen mit Schilfbooten zu überqueren war.
Weiterhin haben wir auch schon klare Erkenntnisse, die zum Abbruch des Achterstevens führten. Dennoch bescherte uns dieses unerwartete Ereignis die Möglichkeit, ein havariertes, manövrierbehindertes Schiff mitten im Atlantik umzubauen und damit die Seereise fortzusetzen. Die geographische Zielstellung konnte von der ABORA III leider nicht erfüllt werden. Für mich als Wissenschaftler stehen die Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellungen und der enorme Fundus von neuen Erkenntnissen im Vordergrund. Wir stehen gerade am Anfang eines langen Lernprozesses, der durch die Beendigung unserer Fahrt nicht in Frage gestellt werden darf. Das Nichterreichen der spanischen Küste ist das kein Beleg für die Nichtmachbarkeit von transatlantischen Seereisen. Früher wurden Atlantiküberquerungen sicherlich nicht in einem einzelnen Schilfboot gemeistert sondern immer in Gruppen. Genaue Zahlen, wie viel Boote gestartet und wie viele tatsächlich ihr Ziel erreichten, liegen nicht vor.
Die Fahrt der ABORA III hat außerdem gezeigt, daß Segelsport, Wissenschaft und Teamarbeit eine hervorragende Symbiose eingehen können, um bisher ungelöste Fragen der Archäologie zu beantworten.

www.abora3.de

Dominique Görlitz

 

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