Trojaburg
 
 

Die Weihnachtslegende

Von Dr. Johann von Leers


Im Himmelreich der Götter


Wahrscheinlich gibt es neben dem Menschenhimmel, dem Pferdehimmel, wo die alten Schlachtrösser sich aushalten sollen, und jenem anderen Himmel, wo nach dem Volksglauben die alten Junggesellen Krebse hüten müssen, auch einen Himmel, wo, wie Münchhausens Landsknechte, „an des himlischen Kamines Flammen“, wo die alten Götter die Beine strecken und friedfertig nebeneinander sitzen, ein Himmel, der Vergessenen und Halbvergessenen, ein Altenteil der großen Träume. Vielleicht verfolgen die alten Götter von dort sogar aufmerksam, was hier auf der Erde geschieht. Jupiter und Ziu rechnen noch einmal die Schlachten der Römer- und Germanenkriege durch, Wodan liest das neueste Buch von Martin Ninck über sich, Thor und Radegast unterhalten sich im Zeichen der deutsch-polnischen Verständigung darüber, daß die große Kreuzritterei, die der Herr aus Palästina gebracht hat, und das reine Wort Jehowas, das Magister Johann Hus´Anhänger mit Drechsflegeln und Sensen durchsetzen wollten und worüber so viel Blut der beiden Völker geflossen ist, nun vergessen sein sollen. An einem himmlischen Kamin sitzen auch die vier Unheimlichen zusammen, Saturn, Loki, Czarnibog und Ahriman und erzählen sich ihre Streiche und Taten in alter Zeit. Es ist friedlich und gemütlich hier oben, wo die alten Götter zusammenhocken und sich daran freuen, wenn man in unseren Tagen beginnt, besser von ihnen zu denken, als das noch vor einiger Zeit üblich war. Juno und Freya unterhalten sich darüber, ob Herr Direktor Schlabow die alten Gespinste und Stoffe wieder richtig hergestellt hat, und Bacchus freut sich am Tag des deutschen Weines.

Da tritt barfuß mit langen Flügeln und ein wenig verfroren von der Kälte des Weltraumes ein Englein in die Tür, kräht vergnüglich: „Wißt ihr nicht, daß heute Gott geboren worden ist? Heute ist Weihnachten, heute ist im Jahre 1 Gott zur Welt gekommen.“

Grossvater Uranus


Da räuspert es sich in Ferne vernehmlich. Ganz fern im Saal, wo es hinausgeht in die Ewigkeit, sitzt der alte Uranus, der Zeitgott, der immer da war, der Götter und Menschen vergehen sah und winkt den kleinen Engel zu sich.
„Mein armes Kind, was redest du da? Gesehen habe ich der Menschen und Götter Geschlechter und kann viel erzählen aus alter Zeit. Nun höre einmal richtig zu.
Heute sind schon viele Götter geboren worden. Was ein anständiger Gott ist, wird selbstverständlich heute geboren. Das ist schon viel früher der Fall gewesen, ehe dein Herr zu Betlehem geboren wurde. Das müßtest du eigentlich auch wissen, wenn du deine heiligen Schriften und Kirchenväter gelesen hättest und ein bisschen in der Welt Beschied wüßtest.
Du bringst nämlich gar nichts Neues. Schon Plutarch erzählt uns, daß die Ägypter am 21. Dezember die Geburt des Sohnes der Isis gefeiert hätten. Auf dem Tempel zu Sais in Ägypten sdagt Isis selber – sie ist hier anwesend und kann es dir bezeugen - : ‚Die Frucht, welche ich geboren habe, ist die Sonne.’ Eurem Kirchenvater Augustin hat das noch Faustus der Manichäer entgegengehalten. Ihr Katholiken seid nur eine Abart der Heiden, nur die gesellschaftliche Verfassung ist geändert, nicht das Wesen. Die Opfer habt ihr in Liebesmahle umgewandelt, die Götter in Märtyrer, die Verstorbenen sühnt ihr, wie die Heiden, mit Weinspenden und Mahlzeiten. Ihre Feste feiert ihr noch mit ihnen in den Sonnenwenden. Euer Bischoff Maximus von Turin hat im Jahr 400 in der Neujahrspredigt dabei eine sehr wenig einleuchtende Entschuldigung gebracht und die Vorseheung gepriesen, daß Christus gerade an einem heidnischen Fest geboren werden mußte, damit die Menschen angeregt würden, sich heidnischen Aberglaubens zu schämen.’ Euer Papst Leo I. hat auch in einer Weihnachtspredigt erklärt: ‚Der Teufel habe einfältige Seelen so berückt, daß diese sich einbilden, dieser Tag sei nicht sowohl wegen der Geburt Christi, sondern vielmehr wegen der neuen Laufbahn des Sonnengottes heilig.’ Das sind doch schwache Ausreden, mein armes Kind! Sieh mal, schon der Dyonisos, der dort sitzt, ist in der Wintersonnenwende geboren worden, und die Frauen sind hinausgezogen und haben das kleine Gotteskind zu Delphi begrüßt – nicht wahr, Dyonisos? Am gleichen Tag ist Adonis geboren worden und der Gott der Syrer Tammuz. Du hast doch sicher einmal von dem alten Kirchenvater Hieronymus gehört? Der schreibt (Ep. LVII ad Paulinam) über den Stall von Betlehem: ‚iucus inumbrabnat Thamuz, id est Adonis, et in specu ubi quondam Christus parvulus vagiit, Veneris amasius plangebatur’, d.h. daß in dem Stall, in dem der kleine Christus wimmerte (vagiit), Thamuz, den die Griechen dem Adonis gleichsetzten, einst verehrt und betrauert wurde.“
„Ja, aber das war doch eine Jungfrauengeburt“, stotterte das Engelchen und wird ganz rot dabei.
„Mein armes Kind – glaubst du etwa, diese Damen hier hätten nicht als Jungfrauen geboren? Isis hat den Knaben Horus selbstverständlich als Jungfrau zur Welt gebracht, Istar hat schon bei den Babyloniern den Adonis oder Thamuz zur Wintersonnenwende als Jungfrau geboren, und Dyonisos ist auch ein Jungfrauenkind. Das ist doch alles nichts Neues, mein Kleiner!“
„Ja, aber Josef, der Zimmermann – das kann sich doc h niemand ausgedacht haben?“
„Das hat sich auch niemand ausgedacht“, sagte Großvater Uranus begütigend, „selbstverständlich gehört der Zimmermann dorthin. Der Zimmermann verkörpert doch das Tierkreiszeichen des Steinbocks. Und die Jungfrau ist auch kein Zufall. Sieh mal, damals, wo ihr die Geburt Christi verlegt, trat die Sonne am 21. Dezember in das Tierkreiszeichen des Steinbocks. Er begleitete die aus der tiefsten Stelle des Jahres nach oben klimmende Sonne. Noch in der mittelalterlichen Sternkunde ist er durch den Zimmermann verkörpert. Das Zeichen der Jungfrau aber ging damals heliaktisch auf – darum werden alle diese Götter von Jungfrauen geboren. Das würdest du wissen, wenn du dich ein wenig mit dem Himmel selber beschäftigen würdest und mit der Zeit.“
„Ja, aber“, dagt der kleine Engel listig, „Christus ist doch nicht am 21., sondern in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember geboren, also kann das nicht stimmen, was du da sagst, Großvater Uranus!“
„Natürlich stimmt es, mein liebes Kind – sieh mal Mithras, der dort sitzt, ist schon lange vorher zur gleichen Stunde geboren. Die alten Perser haben nur etwas anders gerechnet und diese Rechnung habt ihr übernommen. Und damit du es gleich weißt, die drei Könige aus dem Morgenlande sind die drei Magier, die auch schon zu ihm gekommen sind. Weihrauch, Gold und Myrrhe haben sie ihm auch schon mitgebracht, denn das sind alte Sonnensymbole. Ein Heiland ist er auch schon gewesen, denn den griechischen Titel „Soter“, was auf deutsch „Heiland“ heißt, haben schon Zeus, Helios, Dionysos, Apollo, Herakles und Äskulap geführt. Sie sind nämlich alte Sonnengottheiten, die den Winter verscheuchen, und darum bringen sie das neue Leben mit sich. Das habt ihr euch auch bloß angeeignet.
Ich kann dir gleich noch ein bißchen mehr erzählen. Das Fischsymbol, mit dem sich eure ersten Christenbezeichnet haben, kommt nicht von der kindlichen Deutung der Anfangsbuchstaben Jesus Christus, Theou hyios soter, was ihr zusammen gezogen als „ichthys“, nämlich auf griechisch „Fisch“, gelesen habt, sondern das stammt daher, weil im großen Weltenjahr die Sonne damals im Tierkreiszeichen der Fische stand. Das hört übrigens in unseren Tagen auf – sie tritt jetzt in das Zeichen des Wassermannes, und das ist auch ein Zeichen dafür, daß ihr langsam veraltet.“
„Ja und“, stottert  der kleine Engel, „die Krippe und die Öchslein und Esel…“
„Alles schon dagewesen“, sagt der alte Uranus – „ist sogar heute noch da. Das sind Sternbilder, mein liebes Kind, weiter nichts als Sternbilder. Man muß bloß an den Himmel schauen, dann findet man sie alle wieder. Auch die Krippe ist ganz alt. In Rom wird bekanntlich sogar noch die Krippe in der Kirche Santa Maria Maggiore ausgestellt und zu dieser Zeit verehrt. Die Kirche aber steht auf einem alten Tempel der Juno Lucina, die von gebärenden Frauen angerufen wurde. Sie findet sich auch am Himmel- du brauchst bloß einmal dorthin sehen. Da steht die Jungfrau, die noch euer Jesuit Riccioli di Virgo Deipara nannte, da steht das Sternbild der Krippe „die Eselzwillinge“, da steht das Sternbild „der drei Könige“ im „Gürtel des Orion“, da ist sogar noch mehr, nämlich der „Adler“ von dem Johannes der Evangelist spricht, - das ist der Skorpion – die ganze heilige Geschichte, von der du hier berichten eillst, spielt sich dort oben ab.

So mein liebes Kind, nun sieh mal her!“ Der alte Uranus hebt die Hand, auf einmal ist der Götterhimmel verschwunden. Der gewaltige Weltraum tut sich auf. Da leuchtet Mars und scheint auch die Züge des Ziu zu tragen, da sind die vier Unheimlichen im Saturn verschwunden, da sind Dionysios und Apollo und Baldur und Radegast und wie sie alle heißen, die Götter der aufgehenden Sonne, im Sonnenlicht versunken, aus dem sie gekommen sind – gewaltig aber wandeln dort oben die Planeten um die Sonne in ewiger Harmonie und Ordnung. Der kleine Engel ist ganz klein im Weltenraum. Er sieht, wie die Erde, eine winzige Kugel, sich um die Sonne dreht und Jahr für Jahr ihren Weg läuft. Er sieht die Sonne selber mit allen ihren Trabanten sich um eine ferne Zentralsonne drehen, er sieht das Himmelsgewölbe in erhabener Bewegung wandeln von Ewigkeit zu Ewigkeit, ein großes Auf- und Niedergehen, sieht Sterne aufleuchten und erlöschen und doch kein Stück verloren gehen, sieht neuwerdende und verfallende Welten. Der kleine Engel wird ganz klein und winzig und hat seine Botschaft schon fast ganz vergessen. Irgendwo unten in der Tiefe sieht er die Erde als einen wenzigen Punkt um die Sonne kreisen, er sieht die Sonne mit ihrem ganzen Sternensystem davonfliegen in die unendliche Weite – da wird er ganz ehrfürchtig und stumm. Alles, was er erzählen wollte, ist lange vor ihm dagewesen und lange vor der Geschichte, die er berichten wollte. Es ist ein großer Abglanz der Ewigkeit, des großen Weges, der sich am Himmel immer wiederholt. Der kleine Engel ist ganz still geworden und bescheiden vor dem Hauch der Unendlichkeit.

Die alten Götter aber sitzen wieder beisammen und sind ganz nachdenklich geworden. Baldur und Dionysos und Adonis und Horus und die vielen Götterkinder, die in der längsten Nacht geboren sind, aber sehen sich still an: „Träume sind wir, fromme Träume, Bilder der Sehnsucht, in denen die Menschen das große Wunder um sich verkörpern wollten. Träume sind wir und Sehnsucht, die einmal lebendig war – die Menschen haben uns gestaltet, um das Unaussprechliche, das Erhabene in Worten zu fassen. Wie groß muß die Sehnsucht des Menschen nach diesem Erhabenen sein, daß sie ihre schönste Dichtkunst, ihren tiefsten Glauben, ihre größte Liebe an alle diese Kinder geheftet haben, die ihnen alle nur das eine verkörperten – den Sieg des Lichtes!“

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"Weihnachten - die geweihten Nächte im Ahnenerbe"

J. O. Plassmann: Julnacht – Weihenacht

 

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